kontaminierter Zug aus Berlin

Begonnen von wrdmstr inc., 09. Oktober 2019, 22:41

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DG0MG

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Das ist ja auch wieder eine verrückte Geschichte.
Der Mann war in Moskau in der Klinik und ist nach der Behandlung unbehelligt ZURÜCK nach Berlin gefahren. Erst bei der darauffolgenden Fahrt des Zuges von Berlin nach Moskau misst man im Abteil 2 µSv/h und auf der Toilette 7 µSv/h? Ich mein - gut auf der Toilette mag das sein, aber wie kontaminiert der sein Abteil so? Was haben die Russen dem gegeben und warum lassen die den nicht ne Weile warten? Wie sehr muss er erst selbst gestrahlt haben? Schade dass kein Isotop dabeisteht.
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

DL3HRT

Vor zwei Jahren stand auf der HAM-Radio Messe ein Besucher vor mir und hielt sich den Geigerzähler an den Hals. Das Ergebnis war umwerfend. Er war am Tag zuvor zur Schilddrüsenzintigraphie, bei der mit Technetium-99m gearbeitet wurde. Trotz der kurzen Halbwertszeit von 6 Stunden war die Aktivität nach 24 Stunden noch beeindruckend, obwohl "nur" noch 1/16tel der ursprünglichen Aktivität vorhanden war.

Die Aktivität der Radiopharmaka für die Schilddrüsenszintigraphie liegt bei ca. 70 MBq (siehe hier auf S. 4).

DG0MG

Er wird ja nicht umsonst extra nach Moskau gefahren sein für die Behandlung (im Artikel steht "Behandlung"). Das ist vielleicht etwas, was man in DL gar nicht bekommen kann.

Eine Bekannte hatte mal irgendwas mit der Schilddrüse, die haben die erst wieder aus dem KH rausgelassen, als die Werte unter ein unbedenkliches Maß gefallen waren (mehrere Tage). Das war aber auch eine Behandlung, keine Untersuchung.

Immerhin ist die Erkenntnis aus dem Vorfall, dass vmtl. an der Grenze von Polen nach Weißrussland einfahrende Züge routinemäßig auf erhöhte Radioaktivität untersucht werden. Vielleicht mit solchen Portalmonitoren wie auf dem Schrottplatz. Ich bin die Strecke vor mehr als 30 Jahren mal gefahren, da wurden die Waggons in BREST von der europäischen Normalspur auf die russische Breitspur umgespurt - also andere Fahrgestelle oder Radsätze druntergebaut. Das wird ja noch so sein, entsprechend viel Zeit ist auch zum Messen.

Oh, immerhin gab es da erheblichen Fortschritt, das dauert nur noch 20 Minuten:
https://www.berliner-zeitung.de/berlin/verkehr/hotelzug-ab-berlin-mit-dem--mauersegler--in-20-stunden-nach-moskau-25009620
"Weil in Brest die Spurbreite von 1520 auf 1435 Millimeter wechselt, müssen die Radsätze angepasst werden. Dafür wird eine neue Technik namens Swift eingesetzt. Sie soll die Umspurung an der Grenze zwischen Weißrussland und Polen von derzeit rund zwei Stunden auf knapp 20 Minuten verkürzen. Dank Swift geschieht das automatisch – und dies trägt dazu bei, dass die Reise von Moskau nach Berlin im Hotelzug nur 20 Stunden und 14 Minuten dauert."

In letzter Konsequenz wäre die Dosis interessant, die ein 20 Stunden neben dem strahlenden Herrn sitzender anderer Reisender unwissenderweise empfängt.
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

DG0MG

#4
In den Kommentaren unter dem Artikel findet sich dieser Link:


Dort ist angeblich eine solche Portalmessanlage in Medyka an der Grenze von Polen zur Ukraine zu sehen - ich hätte das  allerdings nicht dafür gehalten. Ist doch unlogisch, sowas nur auf einer Seite zu bauen? Zum zweiten fehlen mir die Sensorflächen? Es sieht alles ziemlich neu aus, vielleicht fehlen die auch bloß noch.
Wozu ist das Bauwerk so hoch? Hinter der Betonwand steht noch ein Baugerüst. Wenn man dessen Etagen mit 2 Meter ansetzt, dann ist die Betonwand mindestens 8 Meter hoch und der komische Ausleger scheint die Wand noch zu überragen.
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

DG0JN

Aufgrund eines heißen Strumaknotens war ich vom 24.11. bis 02.12.1999 in der Universitätsklinik in Würzburg zur Radiojodtherapie. Zur damaligen Zeit gab es diese Möglichkeit in den östlichen Bundesländern noch nicht. Die Behandlung lief in etwa wie folgt ab. Bei einer Voruntersuchung wurde der spezifische Stoffumsatz in meinem Körper ermittelt. Aufgrund dessen wurde dann die Dosis des einzunehmenden Strahlenpräparates bestimmt. Ich bekam dann eine kleine Kapsel, die ich schlucken mußte und das war es auch schon mal. Danach wurde ich in einem Zweimannzimmer weggesperrt. Ärzte oder Pfleger die ins Zimmer kamen hatten immer Schutzbekleidung an. Alles was man von sich gab, wurde als Strahlenmüll in speziellen Tanks behandelt, einschließlich nicht aufgegessenem Essen und Trinken. Zweimal am Tag mußte man sich aufs Bett legen zum Messen der Restaktivität. Erst nachdem der Grenzwert unterschritten war, wurde man nach Hause entlassen mit der Belehrung, daß man sich von Schwangeren und Kleinkindern in den nächsten vier Wochen fernzuhalten hat. Mir hat die Behandlung geholfen. Wenn genauere Daten zur Dosis von Interesse sind, dann müßte ich die Hausärztin konsultieren, damit sie im Archiv nachschaut.

Floppyk

Zitat von: DG0MG am 10. Oktober 2019, 08:27
Der Mann war in Moskau in der Klinik und ist nach der Behandlung unbehelligt ZURÜCK nach Berlin gefahren. Erst bei der darauffolgenden Fahrt des Zuges von Berlin nach Moskau misst man im Abteil 2 µSv/h und auf der Toilette 7 µSv/h? Ich mein - gut auf der Toilette mag das sein, aber wie kontaminiert der sein Abteil so? Was haben die Russen dem gegeben und warum lassen die den nicht ne Weile warten? Wie sehr muss er erst selbst gestrahlt haben? Schade dass kein Isotop dabeisteht.
Genau das Gleiche habe ich mich auch gefragt. Wenn jemand aus medizinischen Gründen ein radioaktives Präparat spritzt, "dünstet" er das ja nicht aus. Allenfalls seine Ausscheidungen sind belastet, was die erhöhten Werte auf der Toilette erklärt. Er wird sich ja wohl nicht im Abteil erbrochen haben, nehme ich mal stark an.
Zudem ist es merkwürdig, weil diese Untersuchungen oder Therapien mit radioaktiven Substanzen an sich nichts besonders sind und sicherlich häufiger vorkommen.
Ich hatte mal vor zig Jahren eine Knochensitegraphie. Wenn ich mich recht erinnere, durfte ich erst nach Hause, wenn ich das erste Mal dort auf einer Spezialtoilette war. Nach ein paar Stunden war der "Spuk" (ohne Befund) vorbei. Während der Untersuchung konnte mir niemand etwas über eine Dosis sagen. Nur die Halbwertszeit war bekannt. Schade das ich damals meinen Gamascout noch nicht hatte. Interessant, aber dennoch nicht beruhigend fand ich nur die damalige Aussage - alles harmlos, hat noch nicht einmal die Dosis einer Röntgenaufnahme".  :o

DG0MG

Zitat von: Floppyk am 11. Oktober 2019, 15:02
Er wird sich ja wohl nicht im Abteil erbrochen haben, nehme ich mal stark an.

Das wäre aber eine durchaus plausible Erklärung für den ganzen Vorgang!
Zumal es ja im Artikel um eine nicht oder nur ungenügende Reinigung des Zugabteils geht:

"Der Fahrgast soll die Besatzung des Zuges auch auf die Gefahr der erhöhten Strahlenbelastung aufmerksam gemacht haben. Die dann in Berlin veranlasste Reinigung in dem Abteil sei dann aber wohl nicht ausreichend erfolgt."

Man stelle sich das im echten Leben vor: Er erbricht während der Fahrt im Abteil, putzt das mit Servietten und Toilettenpapier notdürftig weg, entsorgt den Müll in der Toilette, wo er sich auch die Hände wäscht. Und gibt dem Schaffner Bescheid. Der sagt dann in Berlin vielleicht sogar den Reinigungstruppen: "K*tze im Abteil ordentlich wegputzen!" und die wischen das ganze Abteil oder saugen die Polster nass und schmieren alles breit. Schon gibts eine flächige Kontamination und Verschleppung.

Ohne, dass im Abteil irgendetwas passiert ist, macht die Ansage an den Schaffner keinen Sinn.
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NoLi

Ich glaube eher, dass es sich bei der Kontaminationsursache um die Gabe einer J-131-Gelantinetherapiekapsel zur Zerstörung der gesamten geschädigten Schilddrüse handelte. Die Aktivität einer solchen Kapsel beträgt in der Regel 4 GBq, der Patient muß in Deutschland(!) solange stationär in einer nuklearmedizinischen Abteilung bleiben (4-5 Tage), bis er im Körper eine Rest-J131-Aktivität von ca. 250 MBq aufweist. Dies entspricht einer Dosisleitung von 3,5 µSv/h...in 2m Abstand! Die "Halskontaktdosisleistung" liegt am Entlassungstag bei ca. 3 mSv/h! Da Jod sehr flüchtig ist, wird über die Atmung, den Schweiß, weiteren Ausscheidungswegen eine nicht unerhebliche Aktivitätsmenge freigesetzt, die selbst nach der Entlassung zu merklichen Kontaminationen durch den Patienten führt (selber gemessen).
Wegen der hohen Ausscheidungsrate während der ersten Tage muß in Deutschland der Patient stationär untergebracht sein, alle seine Ausscheidungen, Waschwässer etc. werden in Abklingtanks mindestens 6-8 Wochen gesammelt, bevor der Inhalt nach Kontrollmessungen konventionell entsorgt werden kann (Restaktivität J-131 ca. < 5 Bq/l). In einigen anderen europäischen Ländern ist die stationäre Aufnahme nicht üblich (Frankreich, Luxemburg, Belgien,...), hier heißt es "Kapsel schlucken und ab nach Hause"; vermutlich wird auch so in Russland verfahren. Dies ist für die Patienten natürlich eine wesentliche Erleichterung.

Gruß
Norbert

NoLi

Hier noch ein Schweizer 7 Min Video darüber:




NoLi

Für DGOJN:

Hier ein 5 min Video über eine Struma-Behandlung in der Uniklinik Würzburg. Bei dieser Behandlung wird die Schilddrüse nicht ganz zerstört, sondern nur die auffällige Knoten. Daher ist die J-131-Aktivität geringer (wie im Video erkennbar, beträgt sie 300 MBq).

https://www.tvmainfranken.de/mediathek/video/gesund-und-fit-radiojodtherapie-bei-schilddruesenerkrankungen/

Gruß
Norbert

DG0MG

Zitat von: NoLi am 17. November 2019, 23:37
In einigen anderen europäischen Ländern ist die stationäre Aufnahme nicht üblich (Frankreich, Luxemburg, Belgien,...), hier heißt es "Kapsel schlucken und ab nach Hause"; vermutlich wird auch so in Russland verfahren. Dies ist für die Patienten natürlich eine wesentliche Erleichterung.

Danke für die Hinweise! Das ergibt dann schon eher ein Bild. Wenn man aber die Wahl zwischen ein paar Tagen Krankenhaus in Dtl. und einer anstrengenden Zugfahrt nach Moskau hat - warum wählt man die Zugfahrt?  Vielleicht gab es doch noch ein weiteres Argument für den Patient, so zu verfahren.
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

DG0JN

Hallo Norbert,

willkommen im Forum und herzlichen Dank für den Link mit dem Video zur Würzburger Klinik. Du hast mir mit dem Link eine große Freude gemacht. Ich habe es mir gleich mal gedownloadet. OA Dr. Biko, ein Tscheche, war damals auch schon dort und hat mich behandelt. Die Abläufe waren damals auch schon so, nur ist es jetzt eben dort zeitgemäß, patientenfreundlicher.

Gruß Gottfried