Das Allheilmittel des 20 Jahrhunderts

Begonnen von Floppyk, 12. März 2020, 22:26

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DG0MG

#1
"'Die tägliche radioaktive Massage schützt das Gesicht vor Falten und bewahrt unbegrenzt die Frische der Gesichtsfarbe.'
Wenige Jahre nach der Entdeckung des Radiums im Jahr 1898 machten das neue radioaktive Element und seine strahlenden Zerfallsprodukte eine beispiellose Karriere auf den Gebieten der Heilkunde und der Kosmetik. In Europa und Amerika entstanden "Radiumbäder" für Kuren mit schwach radioaktivem Wasser. Ergänzend wurde ein wachsendes Sortiment unterschiedlichster Artikel mit zugesetztem Radium zum Hausgebrauch entwickelt: Wasserbereiter, Einlegesohlen, Haartinkturen, Cremes, Zahnpasta, Augenbinden, Genitalpolster, Katzenfellkissen, Lippenstifte, Wundpflaster, Babypuder und vieles, vieles mehr. Solche Dinge waren tatsächlich radioaktiv und wurden mit dem Versprechen märchenhafter Heilungs- und Verjüngungswirkungen angepriesen. Daneben gab es nicht-strahlende Pseudo-Radiumartikel, deren Hersteller vom Nimbus der Radioaktivität profitieren wollten.
Mit diesem Buch wird das bizarre historische Phänomen der radioaktiven Quacksalberei erstmalig unter konsequent kultur- und ideengeschichtlichen Gesichtspunkten abgehandelt.
"


Alfred Meurer
Das Allheilmittel des 20. Jahrhunderts: Eine kleine Kulturgeschichte des Radiums
Jonas Verlag, 1. Auflage 2017, Softcover
222 Seiten, 57 Abbildungen, davon 27 in Farbe
Buchausgabe (D): 32,00 €
ISBN: 978-3-89445-534-7


In diesem PDF gibts das Inhaltsverzeichnis:

"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

Floppyk

Ich habe es mal bestellt. Die Zeit und Geschichte um das Radium finde ich ohnehin eine hochinteressante Zeit.

NoLi

#3
Hallo.

Der in der Rezension zitierte Eben Byers mit seinen 1400 Flaschen radiumhaltiger Lösung und dem daraus zerfallenden Unterkiefer hatte Anfang der 1930er Jahre damit dermaßen viel Radium zu sich genommen, dass sich neben Knochenkrebs sehr schnell u.a. auch Leukämie und entsprechende Organversagen herausbildeten. Der Radiumgehalt bzw. die Radiumaktivität (Ra-226 + Ra-228) jeder Flasche betrug zusammen ca. 2 µCi (= 74 kBq).
Die meisten Produkte zum Einnehmen hatten deutlich geringere Aktivitäten (z.B. die Radium-Schokolade der Cottbusser Firma Burkbraun, welche in den 1930er Jahren auf den Markt kam, enthielt pro Packung ca. 0,1 µg Radium = 3,7 kBq Ra-226).

Trotz allem hatte die (welt)weite Verbreitung und Anwendung dieser vorwiegend radiumhaltigen Produkte in weiten Lebensbereichen und Bevölkerungsgruppen für den Strahlenschutz auch eine, bitte nicht mißverstehen, "positive" Seite: man kennt viele Produkte, deren Anwendungen, die Aktivitätsgehalte und kann aus daraus resultierende Dosiswerten und deren Folgen für die Benutzer Rückschlüsse über die gesundheitlichen Auswirkungen ziehen.

Aber was heißt "Anwendungen bis vor wenigen Jahrzehnten": für radiumhaltige Produkte kann man dies bejahen. Aber die unkontrollierte Verbreitung von radioaktiven Konsumgütern hält bis heute an, ja hat sich, u.a. dank der Möglichkeiten des Internethandels, in den letzten Jahren durch Fernostprodukte sogar verstärkt, z.B. durch den "gesundheitsfördernden, biopositiven Negativ-Ionen-Kult-Wahn" ("Quantum"-Amulette, Armbänder, Ionenkarten, Ionenketten, Unterwäsche, Socken, Bettwäsche, Waschkugeln, Einlagen zur Trinkwasserenergetisierung, Glasuntersetzer, Pyramiden und Zylinder,..., alles überwiegend thoriumhaltig/thoriumdotiert und vorwiegend aus chinesischen/japanischen Quellen).

Doch zurück: sicher ein interessantes Buch, nicht nur für jeden Strahlenhistoriker; auch ich werde es mir mal bei Gelegenheit zulegen.

Gruß
Norbert

DG0MG

Ich hatte das Buch ebenfalls bestellt und jetzt angefangen es zu lesen. Die ersten ~20 Seiten hielt ich es schon für eine Fehlinvestition, da der Autor dort recht langatmig das schreiben und Vorhandensein des Buches rechtfertigt. Aber ab da wird es erheblich intressanter. Die gemeinhin bekannte Geschichte um Bequerel mit den Fotoplatten und Uransalzen wird ausführlicher erzählt, so dass man auch versteht, warum damals überhaupt angenommen wurde, dass die Sonne etwas damit zu tun hat.

Ebenso, dass die SCHÄDIGENDE wirkung von Radium eigentlich kurz nach dessen Entdeckung ebenfalls schon bekannt war, indem nämlich Pierre Curie an Hautstellen schwere und langwierig heilende Verbrennungen erlitt, über denen er in den Taschen seiner Jacke Ampullen mit Radiumsalz transportierte.

Der Autor gibt ausführliche Quellen an und fügt Notizen in Fußnoten hinzu. Auch wenn er selbst von einer 'nicht wissenschaftlichen Arbeit' schreibt, macht das einen guten Eindruck.
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!