Totzeit bei Geiger-Müller-Zählrohren

Begonnen von Henri, 10. März 2022, 20:43

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Henri

Hallo,

es gab ja großes Bedauern darüber, dass die "alte" Firmware beim Radex 1503 maximal eine Dosisleistung bis 9,99 µSv/h zulässt, bis das Gerät "overload" meldet.

Ich habe mir nun mal das Datenblatt für das darin verbaute SBM-20 Zählrohr noch mal rausgekramt. Als Totzeit sind dort 190 µS genannt, außerdem eine (über Ra-226 und Co-60 gemittelte) Gamma-Sensitivität von ca. 25 cps/mR/h, also 2,5 cps pro µSv/h.

Geigerzählrohre zählen zu den Detektoren mit verlängerbarer Totzeit. Fällt also in die Totzeit ein weiterer Impuls, verschwindet dieser nicht einfach, sondern mit seinem Eintreffen beginnt die Totzeit von vorne. Im Extremfall (Überlast) endet die Totzeit also nie, das Zählrohr ist dann "taub".

Würden Gammaquanten das Zählrohr in immer gleichem Rhythmus mit immer gleichem Abstand treffen, wären bei 190 µs Totzeit also 1s/0,00019s = 5260 Impulse pro Sekunde erfassbar, was beim SBM-20 dann 2,1 mSv entspricht.

Nun sind die Impulse aber nicht gleichmäßig verteilt, sondern statistisch. Bei niedrigen Zählraten spielt die Totzeit praktisch keine Rolle, bei höheren wird sie immer bedeutsamer. Es dürfte sogar so etwas wie einen "Umkehrpunkt" geben, bei dem die Dosisleistung weiter steigt, während die Zählrate abfällt und dann irgendwann 0 erreicht.

Und nun kommt meine Frage an diejenigen unter uns, die sich mit Mathe auskennen  ;D: wie modelliert man das?  :unknw:

Ich würde es spannend finden, für das SBM-20 mal einen Graphen zu sehen, auf dem tatsächliche Impulsrate gegen theoretischer Impulsrate aufgetragen wird.
Dann könnte man z.B. die Aussage treffen, dass man maximal 10% Abweichung durch Totzeitverluste akzeptieren möchte, und anhand des Diagramms dann die maximale Dosisleistung bestimmen, bei der dies noch gegeben ist.

Richtig toll wäre ein Excel-Sheet, wo man einfach die Totzeit einträgt und dann den passenden Graphen geplottet bekommt.


Viele Grüße!

Henri

Na-22

#1

Turbo-Tom

Da sich bei steigender Dosis trotz möglicherweise sinkender Zählrate dennoch die Entladungsdauer steigert, könnte man ab einer sinnvoll zu wählenden Zählrate vom Zählen der Impulse zum Messen des mittleren Stroms durch das Zählrohr übergehen.

Dass es auch hierbei nichtlinear zugehen wird bzw. spätestens, wenn das Zählrohr vollständig "leitet", zu einer Sättigung kommen wird, ist offensichtlich. Ein cleverer Algorithmus im Microcontroller des Geigerzählers könnte das aber mit Sicherheit linearisieren. Nur der Abgleich dieses Systems gestaltet sich (bis jetzt noch...  :o) schwierig.

Na-22

Zitat von: Henri am 10. März 2022, 20:43
...
Es dürfte sogar so etwas wie einen "Umkehrpunkt" geben, bei dem die Dosisleistung weiter steigt, während die Zählrate abfällt
...

Handelt es sich um eine verlängerbare Totzeit, so existiert der erwähnte "Umkehrpunkt". Bei einer nicht verlängerbaren Totzeit nähert sich die gemessene Zählrate asymptotisch dem theoretischen Maximum an.
Ich habe mal den Verlauf der gemessenen Zählrate für die beiden Arten der Totzeit aufgetragen. Das Beispiel ist für 190µs Totzeit.
Naja, wirklich gemessen ist es nicht, sondern nur ausgerechnet  :).

NuclearPhoenix

Zitat von: Na-22 am 11. März 2022, 08:33
Zitat von: Henri am 10. März 2022, 20:43
...
Es dürfte sogar so etwas wie einen "Umkehrpunkt" geben, bei dem die Dosisleistung weiter steigt, während die Zählrate abfällt
...

Handelt es sich um eine verlängerbare Totzeit, so existiert der erwähnte "Umkehrpunkt". Bei einer nicht verlängerbaren Totzeit nähert sich die gemessene Zählrate asymptotisch dem theoretischen Maximum an.
Ich habe mal den Verlauf der gemessenen Zählrate für die beiden Arten der Totzeit aufgetragen. Das Beispiel ist für 190µs Totzeit.
Naja, wirklich gemessen ist es nicht, sondern nur ausgerechnet  :).

Wirklich sehr schön gemacht!

Henri

Ach, das ist ja super! 1000 Dank!!

Das heißt, die maximal ablesbare Zählrate beim SBM-20 sind also ca. 1950 cps. Das entspricht grob einer angezeigten Dosisleistung von 780 µSv/h, wobei die wirkliche Dosisleistung dann schon ca. 1,5 mSv/h beträgt.

Grob abgeschätzt sollte man also davon ausgehen, dass bei allem, was 1000 cps (400 µSv/h) übersteigt, der "Totzeitverlust" größer als 10% ist. Ab ca. 600 µSv/h hat man dann schon 20% Verluste.

Der Radex 1706 zeigt max. 999 µSv/h an (2500 cps pro Zählrohr). Dieser in der Bedienungsanleitung angegebene Wert kann in der Praxis aber gar nicht erreicht werden.  So viel zur "Profiqualität"  ;D

Viele Grüße!

Henri

NoLi

Zitat von: Henri am 11. März 2022, 16:27
Ach, das ist ja super! 1000 Dank!!

Das heißt, die maximal ablesbare Zählrate beim SBM-20 sind also ca. 1950 cps. Das entspricht grob einer angezeigten Dosisleistung von 780 µSv/h, wobei die wirkliche Dosisleistung dann schon ca. 1,5 mSv/h beträgt.

Grob abgeschätzt sollte man also davon ausgehen, dass bei allem, was 1000 cps (400 µSv/h) übersteigt, der "Totzeitverlust" größer als 10% ist. Ab ca. 600 µSv/h hat man dann schon 20% Verluste.

Der Radex 1706 zeigt max. 999 µSv/h an (2500 cps pro Zählrohr). Dieser in der Bedienungsanleitung angegebene Wert kann in der Praxis aber gar nicht erreicht werden.  So viel zur "Profiqualität"  ;D

Viele Grüße!

Henri

Ich teste meine SOEKS und RADEX Geräte (alle mit SBM-20-1 Zählrohren) regelmäßig in einem großflächigen Gamma-Strahlenfeld von etwa doppeltem Background bis zur Maximalanzeige 999 µSv/h durch Vergleichsmessungen mit geeichten Dosisleistungsmessgeräten (i.d.R. Automess-6150 AD-6 und AD-6/E) und einer Cs-137 Quelle. Dabei betrugen die Abweichungen deutlich unter 10% und lagen damit auch im Bereich der Abweichungen der geeichten Geräte untereinander!

Norbert

Na-22

Hier ist ein Beispiel, dass die Abnahme der Zählrate bei zu hoher Strahlung zeigt:


Henri

Zitat von: NoLi am 11. März 2022, 18:10

Ich teste meine SOEKS und RADEX Geräte (alle mit SBM-20-1 Zählrohren) regelmäßig in einem großflächigen Gamma-Strahlenfeld von etwa doppeltem Background bis zur Maximalanzeige 999 µSv/h durch Vergleichsmessungen mit geeichten Dosisleistungsmessgeräten (i.d.R. Automess-6150 AD-6 und AD-6/E) und einer Cs-137 Quelle. Dabei betrugen die Abweichungen deutlich unter 10% und lagen damit auch im Bereich der Abweichungen der geeichten Geräte untereinander!

Norbert


Hallo Norbert,

also, die SBM-20 schaffen doch die 999 µSv/h? Und das sogar mit unter 10% "Impulsverlust"? Das würde ja bedeuten, dass die im Datenblatt mit 190 µs angegebene Totzeit zu lange ist?

Hast Du eine Möglichkeit, unabhängig von den Radex-Geräten Einzelimpulse der SBM-20 zu zählen? Dann könnte man ja mal eine Messkurve fahren und schauen, wie es sich mit den Abweichungen tatsächlich verhält, und auch ab wann das Zählrohr tatsächlich in Sättigung geht.

Und bei der Gelegenheit könnte man dann gleich noch den Kalibrierfaktor für Cs-137 bestimmen, da das Datenblatt diesen ja nur für Co-60 und Ra-226 nennt...

Viele Grüße!

Henri


NoLi

Zitat von: Henri am 11. März 2022, 23:15
Hallo Norbert,

also, die SBM-20 schaffen doch die 999 µSv/h? Und das sogar mit unter 10% "Impulsverlust"? Das würde ja bedeuten, dass die im Datenblatt mit 190 µs angegebene Totzeit zu lange ist?

Hast Du eine Möglichkeit, unabhängig von den Radex-Geräten Einzelimpulse der SBM-20 zu zählen? Dann könnte man ja mal eine Messkurve fahren und schauen, wie es sich mit den Abweichungen tatsächlich verhält, und auch ab wann das Zählrohr tatsächlich in Sättigung geht.

Und bei der Gelegenheit könnte man dann gleich noch den Kalibrierfaktor für Cs-137 bestimmen, da das Datenblatt diesen ja nur für Co-60 und Ra-226 nennt...

Viele Grüße!

Henri



Hallo Henri.

Nun, ich habe den RD-1706, und der ermittelt ja den (maximalen) Messwert mit ZWEI SBM-20-1; somit reicht für jedes Zählrohr die "halbe" Zählrate, um auf den Dosisleistungswert zu kommen. Für den SOEKS QUANTUM gilt dies ebenfalls.
Einen RD-1503(+) habe ich nicht, dafür den SOEKS 01M-II, den SOEKS PRIME, das TERRA-P+ und das TERRA-MKS05, jeweils mit EINEM SBM-20-1...wie dort die Zählrate verrechnet wird, weiß ich nicht. Möglich, dass innerhalb des Prozessors eine Totzeitkorrektur durchgeführt und dem echten Wert angepasst wird. :unknw:
Das TERRA-P+ ist mit max. 5 mSv/h angegeben, das TERRA-MKS05 mit max. 10 mSv/h (diese Werte habe ich aber -noch- nicht ausgereizt) ;D ...mal sehen ;)

Leider habe ich derzeit kein Solo-SBM-Zählrohr, um die Zählraten abhängig von der Dosisleistung zu bestimmen, und deswegen eines der Geräte zu schlachten... :-\
Aber mal sehen, was die Zeit bringt.

Gruß
Norbert

Henri

Zitat von: NoLi am 12. März 2022, 00:07


Nun, ich habe den RD-1706, und der ermittelt ja den (maximalen) Messwert mit ZWEI SBM-20-1; somit reicht für jedes Zählrohr die "halbe" Zählrate, um auf den Dosisleistungswert zu kommen. Für den SOEKS QUANTUM gilt dies ebenfalls.


Hallo Norbert,

vielleicht mache ich ja gerade einen logischen Fehler, aber die Zuordnung ODL zu Impulsraten bleibt beim Zählrohr ja gleich, ob man nun eines hat oder zwei. Das heißt, für zwei Zählrohre gilt das selbe wie für eins, nur dass die Elektronik doppelt so viele Impulse bekommt. Das Totzeitproblem steckt (zumindest bei dieser Betrachtung) aber nicht in der Signalverarbeitung, sondern im Zählrohr selber.

Also, das SBM-20 geht bei 5000 cps zunehmend in Sättigung, was ca. 2 mSv/h entspricht. Für ein einziges Zählrohr gilt der Umrechnungsfaktor 2,5 cps pro µSv/h, für 2 parallel entsprechend das Doppelte, 5 cps.

Das heißt, ein Gerät mit einem Zählrohr generiert bei 2 mSv/h 5000 Impulse/s und rechnet intern 5000/2,5 = 2000,
eines mit zwei Zählrohren generiert bei 2 mSv/h 10.000 Impulse/s und rechnet intern 10000/5 = 2000.

Beide Geräte gehen also bei einer DL von 2 mSv/h zunehmend in Sättigung.


Was die Totzeitkorrektur betrifft, so sollte die ja spätestens ab dem Scheitelpunkt der Kurve nicht mehr ohne zusätzliche Hardware möglich sein, weil die Elektronik nicht weiß, ob sie sich rechts oder links vom Scheitelpunkt befindet. Es sei denn, man misst noch den Zählrohrstrom zusätzlich, oder hat noch ein zweites Hochdosis-Zählrohr verbaut. Die Zählrohrstrommessung wäre gar nicht kompliziert. Aber ob daran gedacht wurde?

:unknw:

Viele Grüße!

Henri

Na-22

Hallo Henri,

was macht dich eigentlich so sicher, dass sich das SBM20 so verhält, wie es die blaue Kurve im Beitrag
https://www.geigerzaehlerforum.de/index.php/topic,1018.msg11640.html#msg11640 darstellt?

Vielleicht sieht die Kurve in der Realität anders aus  ;).

Henri

Zitat von: Na-22 am 12. März 2022, 09:57
Hallo Henri,

was macht dich eigentlich so sicher, dass sich das SBM20 so verhält, wie es die blaue Kurve im Beitrag
https://www.geigerzaehlerforum.de/index.php/topic,1018.msg11640.html#msg11640 darstellt?

Vielleicht sieht die Kurve in der Realität anders aus  ;).

Na, ich bin in gar nichts sicher! Ich versuche ja gerade herauszufinden, wie sich das SBM-20 bei hohen Dosisleistungen verhält.

Mir ist auch klar, dass Totzeitgeschichten eine komplexe Sache sind. In der Praxis wird deshalb ja so was auch experimentell für ein spezifisches Gerät ermittelt.
Mangels Strahlenbunker bin ich aber, was den experimentellen Teil betrifft, raus  8)

Im Moment gibt es viele hier, die sich für das Messen hoher Dosisleistungen interessieren. Und in sehr vielen, vor allem einfachen, Geräten ist halt das SBM-20 verbaut, das ja eher für Betastrahlung und niedrige Dosisleistungen gebaut wurde. Weil es einfach günstig und gut verfügbar ist. Trotz der weiten Verbreitung dieses Zählrohrs ist die vorhandene Dokumentation nicht sehr umfangreich. Und da finde ich es schon spannend, zumindest grob die Richtung abschätzen zu können, wie sich so ein Gerät im oberen Anzeigebereich verhalten könnte.

Der unklare Punkt ist dabei das Zählrohr. Die Elektronik eines Geräts könnte man ja noch relativ einfach testen, indem man schaut, wie breit die Impulse sind, die vom Zählrohr kommen, und diese dann elektronisch generiert und einspeist. Aber wie kann man die Totzeit anders bestimmen als experimentell?

Mein Vertrauen in diese Hersteller ist ehrlich gesagt nicht sehr groß, weil im "Consumer-Bereich" der Preis immer eine Rolle spielt. Außerdem können die davon ausgehen, dass der normale Käufer eher nicht im Hochdosisbereich messen wird (wenn er ein Gerät hierfür benötigt, wird er ein professionelles kaufen). Und es ist auch die Frage, welche Möglichkeiten kleinere Hersteller überhaupt zum Testen in starken Strahlungsfeldern haben.
Ich habe schon von Geräten gelesen, die bei hohen Dosisleistungen einfach ausgehen, weil die Hochspannungserzeugung überfordert ist...

Viele Grüße!

Henri

Na-22

Eine Übersicht über verschiedenen russische Zählrohre habe ich hier gefunden:
https://consensus-group.ru/radiation-counters/gamma-radiation

Das "Gamma-7C" wird dort als vergleichbar zum SBM-20 angegeben. Ein Verlauf der Zählrate als Funktion der Dosisleistung ist auf der Seite dargestellt. Leider wird für das Gamma-7C keine Angabe zur Totzeit gemacht.

NuclearPhoenix

Zitat von: Na-22 am 12. März 2022, 09:57
Hallo Henri,

was macht dich eigentlich so sicher, dass sich das SBM20 so verhält, wie es die blaue Kurve im Beitrag
https://www.geigerzaehlerforum.de/index.php/topic,1018.msg11640.html#msg11640 darstellt?

Vielleicht sieht die Kurve in der Realität anders aus  ;).

Müsste wirklich mal wer nachmessen, ist die Frage ob ihr so starke Strahler zur Hand habt. Wäre sicherlich interessant  :)