Wetterballon: Messung der Höhenstrahlung

Begonnen von opengeiger.de, 30. März 2022, 22:06

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opengeiger.de

Was der Physiker Victor Hess 1912 bei seinem spektakulären Ballonflug zum ersten Mal entdeckt hat, kann heute jeder Familienvater im Rahmen einer schulischen GFS (ganze Familie schafft) mit Hilfe von Online-Shops recht einfach nachvollziehen. Manchmal braucht aber auch das noch zwei Anläufe.

Mein Kollege hat mit seiner Tochter Anika am letzten Wochenende einen Wetterballon mit Messgeräten an Bord steigen lassen. Auch ein SBM-20 Zählrohr durfte mitreisen, trotz der sehr eingeschränkten Zuladungsmöglichkeit. Daher haben wir die HV-Erzeugung mit einem kleinen Pigi-Board gemacht (entwickelt für das TDRM Messnetz vom FiFF Aachen), die Aufzeichnung übernahm ein Raspi. Im Gegensatz zum letzten Ballonflug wo die Datenaufzeichnung gleich nach dem Start stoppte, weil die Kapsel nach einer Windböe nochmal kräftig den Boden touchiert hatte, klappte diesmal alles. Die Messung zeigt einen Verlauf wie er schöner nicht sein könnte. Der Ballon stieg bei bestem Wetter stolze 30km hoch, dabei nahm die Strahlung wie erwartet ordentlich zu. In 18km Höhe sieht man schön, wie das Regener-Pfotzer Maximum erreicht wird. Ab da nimmt dann die Strahlung wieder ab, weil die Luft zu dünn wird und es dann keine Wechselwirkungspartner für die Protonen und Neutronen der kosmischen Primärstrahlung mehr gibt (siehe die Grafik).  Wenn man vom üblichen Umrechnungsfaktor von 175cpm/(uSv/h) ausgeht, dann lag die Ortsdosisleistung in 18km Höhe bei 4.5uSv/h, ohne jetzt den Temperatureinfluss auf die Zählrate zu berücksichtigen. Was eine Gopro-Kamera von da oben in der Stratospähre so sieht, kann man in einem youTube Filmchen vom ersten Ballonflug bestaunen (Orientierungshilfe: man kann den Bodensee sehr schön erkennen). Wenn man in dem Video dem aufgezeichneten Audiosignal der Gopro genau lauscht, dann hört man auch das Zählrohr noch so lange knacken, solange die Luft den Schall noch brauchbar leitete, auch wenn bei diesem Flug die Datenaufzeichnung nicht mehr funktionierte (beim ersten Flug war eine SBM20-Driver Platine von 4N-Galaxy verbaut, auf der sich ein kleiner Mikrolautsprecher befand). Bei dem zweiten Flug jetzt aber, speicherte der Raspi alle Daten sauber auf dem Stick und wir sehen, Victor Hess, Erich Regener und Georg Pfotzer haben also richtig gemessen.  :yahoo:



DG0MG

Sehr schön!
Gibts vom zweiten Versuch dann auch wieder ein Video?

Uii, ein fettes Trefoil auf der Ballonnutzlast! :o
Das kann gehörig schiefgehen - wenn die Box in bebautem Gelände landet, hat man ganz schnell einen CBRN-Einsatz mit >100 Einsatzkräften zu verantworten. Wer da abwinkt ("übertrieben!"), lese unsere Pressespalte  ;D Das Symbol würde ich besser weglassen, hat keinen Nutzen und sieht da oben sowieso niemand.

In so einem Projekt steckt viel Know-How und Arbeit und nicht zuletzt auch Geld drin. Auch das Wiederfinden und Bergen ist nicht immer trivial :) Ich bin auch schon Ballons bis weit nach Tschechien hinein hinterhergefahren und war mal an einem Ballonfilm der "Sendung mit der Maus" beteiligt. Da gings aber "nur" um Bewegtbilder aus der Höhe - zu Zeiten, als an GoPros noch nicht zu denken war ..

"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

wrdmstr inc.

coole sache  :) wie weit war denn der lande vom startplatz entfernt?

Henri

Genial!!   :yahoo:

Und dann noch ne Bilderbuchlandung im Steinbruch. Ich hoffe, der Zaun war nicht zu hoch  ;D

etalon

Sehr cool!

Die Geisel der GFS kenne ich aus der Papa-Perspektive nur zu gut. Aber das ist auf jeden Fall mal ein extrem cooles Projekt! Schön, dass beim zweiten Versuch auch die Datenacquisition geklappt hat.

Eine Frage dazu: habt ihr den Start des Ballons vorher irgend wo anmelden müssen (z.B. Flugsicherung)? Man sieht beim Start ja auch einen Flughafen in der Nähe (STR?).

Grüße Markus

opengeiger.de

Hier mal ein paar Antworten: Ja, den Ballonflug muss man bei der Flugsicherung anmelden. Beim ersten Versuch war der Start in einem Vorort von Stuttgart, da war dann morgens vor dem Start noch ein zusätzliches OK per Telefon vom Tower des Flughafens nötig. Aber das geht alles einigermaßen ohne Probleme. Beim zweiten Versuch war der Start Niedernhall und die Landung in Schwaikheim bei Waiblingen (ca. 70km Flugstecke). Das kann alles sehr gut vorher simuliert werden, je kürzer vor dem Start detso genauer. Eine Restunsicherheit bleibt aber. Der große Spannungsmoment ist dagegen immer bis sich die Kapsel das erste mal nach der Landung mit den GPS Daten meldet. So ein Landungsort, wie der Steinbruch beim letzten Mal, das läßt den Adrenalinpegel immer steigen. Dieses Mal war der Landungsort allerdings -fast langweilig- ein gut erreichbarer Feldweg.

Und ja, es wird wieder ein Video geben. Allerdings ist Schnitt und Vertonung immer etwas langwierig, könnte daher noch etwas dauern.

Zur Kennzeichnung der Kapsel mit dem Trefoil, die Problematik habe ich weitergegeben. Die Vorstellung der Jugend war, dass das den Finder der Kapsel vor dem Öffnen abschrecken könnte. Und natürlich ein wenig der Thrill was Cooles gemacht zu haben, Bilder und Videos werden ja immer geshared. Die Problematik, dass der Finder die Feuerwehr rufen könnte und man den Einsatz als Verursacher dann bezahlen muss, war so vermutlich nicht klar. Von daher ist das vielleicht ganz hilfreich für die Nachahmer, wenn das hier mal thematisiert wird. Danke fürs Feedback. :)

DG0MG

Ja, genau so - den Leuten, die Radkappen oder Airsoftdruckluftflaschen mit Trefoils versehen, ist auch nicht klar, was das für Auswirkungen haben kann.

Bei den vielen Ballonmissionen des AATiS hat sich irgendwann als "best practice" herauskristallisiert, auf die Nutzlast mehrere wasserfeste(!) Aufkleber mit der gut lesbaren Schrift "VOLLKOMMEN UNGEFÄHRLICH!" und darunter kleiner die Erklärung, dass es sich um ein "JUGEND FORSCHT"-Projekt handelt, zu kleben und man doch bitte den Fund bei der angegebenen Handynummer melden solle, um das Ergebnis des Forschungsprojektes nicht zu gefährden.

Das lief immer gut :)

Anregung noch fürs Video: Eine Karte mit Startort, Flugstrecke und Landeort einbinden, vielleicht sogar animiert. Falls die GPS-Koordinaten während des Fluges regelmäßig geloggt wurden, kann man mit GoogleEarth auch schön ein dreidimensionales Flugprofil erstellen. Interessant sind technische Parameter: Ballongröße, eingefüllte Gasmenge, Nutzlastgewicht, Auftrieb in Gramm, Steigegeschwindigkeit in m/min, durchschnittliche Fallgeschwindigkeit nach Ballonplatzen, maximale und durchschnittliche Horizontalgeschwindigkeit.
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NoLi

Die ca. 4,5 µSv/h stellen überwiegend den "gleichmäßigen" kosmischen Photonenanteil bzw. teilweise auch durch Kernreaktionen ausgelösten Strahlungsanteil dar...dazu addiert sich aber noch ein in etwa gleicher Größenordnung vorhandener Neutronenanteil.
Hier nicht berücksichtigt sind unregelmäßige Strahlungsausbrüche der Sonne ("Sonnenwinde") oder Einflüße durch in der Nähe befindliche große Gewitterzellen ("Röntgenblitze").

Das Überschall-Passagierflugzeug CONCORDE hatte aus diesen Gründen im Cockpit ein Strahlungsmess- und -warnsystem eingebaut, bei dessen Ansprechen (nach meiner Erinnerung 2 mr/h = 20 µSv/h) der Pilot sofort in tiefere Luftschichten steuern mußte.

Norbert

Henri

Zitat von: opengeiger.de am 31. März 2022, 10:37
Zur Kennzeichnung der Kapsel mit dem Trefoil, die Problematik habe ich weitergegeben. Die Vorstellung der Jugend war, dass das den Finder der Kapsel vor dem Öffnen abschrecken könnte. Und natürlich ein wenig der Thrill was Cooles gemacht zu haben, Bilder und Videos werden ja immer geshared. Die Problematik, dass der Finder die Feuerwehr rufen könnte und man den Einsatz als Verursacher dann bezahlen muss, war so vermutlich nicht klar. Von daher ist das vielleicht ganz hilfreich für die Nachahmer, wenn das hier mal thematisiert wird. Danke fürs Feedback. :)

Wie wär's alternativ mit einem "Vorsicht Hochspannung" Aufkleber? Der ist ebenfalls cool, schreckt möglicherweise ab, und ist vor allem nicht gelogen - sowohl technisch 
(na ja, je nachdem wie man für sich "Hochspannung" definiert, jedenfalls) als auch was den Charakter des Vorhabens betrifft :))

Viele Grüße!

Henri

Henri

Zitat von: NoLi am 31. März 2022, 10:47
Die ca. 4,5 µSv/h stellen überwiegend den "gleichmäßigen" kosmischen Photonenanteil bzw. teilweise auch durch Kernreaktionen ausgelösten Strahlungsanteil dar...


Vorausgesetzt die Ballon-Tragfähigkeit  lässt es zu, wäre es doch mal spannend, gleich zwei SBM-20 auf die Reise zu schicken -  eines "nackig", das andere mit Bleiblech umwickelt. Beim Start müsste das Rohr mit dem Blei weniger anzeigen (Abschirmung), in der Höhe dann aber mehr, weil die energiereiche Höhenstrahlung mit dem dichten Material wechselwirkt und darin dann sekundäre Strahlenschauer erzeugt, die vom Zählrohr besser nachgewiesen werden können.

Viele Grüße!

Henri

DG0MG

Ich bin sicher, es gibt Mitbürger, die auch nur beim geringsten Anzeichen von "Abschreckung" die Polizei rufen.
Wir hatten das schonmal hier: https://www.geigerzaehlerforum.de/index.php/topic,67.0.html
Nicht bestelltes Paket vor der Haustür ==> Polizei.

Selbst eine kleine Styropor-Wettersonde, die mit etwas dünner Schnur und einem Ballonfetzen im Baum hängt, führt zu Polizeieinsätzen (okay, immerhin nicht großes CBRN-Besteck). "Bombe!", "Aliens!" usw.
Davon können auch die Geocacher ein Lied singen, falls ihre teilweise exotischen Verstecke mit raffinierten Inhalten von "Muggels" gefunden werden, die damit niochts anzufangen wissen.

Der geringste Gedanke des "Abschreckenwollens" des Finders muss von vornherein verbannt werden.
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DG0MG

Zitat von: opengeiger.de am 31. März 2022, 10:37Der große Spannungsmoment ist dagegen immer bis sich die Kapsel das erste mal nach der Landung mit den GPS Daten meldet.

Diesen Satz lese ich erst jetzt nochmals mit Verstand, weil ich mich dieser Tage mit den Ergebnissen eines Ballonfluges eines hiesigen Gymnasiums auseinandergesetzt habe. Die waren laut Textbericht an den vorausberechneten Landeort bei Dresden gefahren und haben sich dann gewundert, dass der Ballon doch nach Tschechien geflogen war und noch weitere Kilometer und Zeit zur Bergung (sogar im Ausland) dazukamen. Wie oben schon angedeutet, verfolge ich auch schon mehr als 20 Jahre diverse Ballonstarts und bin bei der Vorbereitung, dem Start, der Verfolgung und Bergung solcher Ballon-Aktionen in einer Größenordnung von erheblich mehr als 15 beteiligt gewesen. Eigentlich immer war Grundannahme und -voraussetzung bei der Durchführung, dass die Ballonnutzlast STÄNDIG ihre Position aussendet und die Leitstation am Boden ständig über den Flugverlauf (Steigerate, Höhe, GPS-Position) informiert ist. Ebenso muss das Verfolgerteam diese Informationen haben, um schnellstmöglich (und bei den Benzinpreisen auf kürzestem Wege) zum Landeort zu kommen. Heutzutage speist man die GPS-Position ins Internet ein und schaut auf Google Maps, vor 20 Jahren reichte ein Laptop mit Windows 2000 samt Kartensoftware und ein selbstgebautes Empfangsmodem. Aber dass wir damalsTM Features hatten, die 20 Jahre später immer noch nicht in der "Normalität" angekommen sind, macht mich ein wenig fassungslos.

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Nun gut, das kam daher, weil die Ballonstarts ausschließlich im Dunstkreis von Funkamateuren durchgeführt wurden, da gelten andere (rechtliche) Regeln, als wenn "nur" eine Schule sagt: "Wir machen sowas jetzt auch!".

Für diese Zielgruppe gibts sogar eine Firma (deren Namen ich jetzt hier nicht nennen will), die verkaufen ihr Know-How, samt allen benötigten Utensilien für einen solchen Ballonstart. Heutzutage will man 4K-GoPro-Kameras mitfliegen lassen - das klappt, bedingt aber natürlich, dass man die Nutzlast nach der Landung wiederfindet. Dazu empfiehlt die Firma einen selbstentwickelten GSM-GPS-Tracker. Am besten zwei, mit verschiedenen SIM-Karten, man weiß ja nicht, wie die Handynetzabdeckung am Landeort ist. Das Problem nur: Ab einer gewissen Höhe kann sich der Tracker nicht mehr ins Handynetz einbuchen - man bekommt also WÄHREND des Fluges keine Informationen, wo und wie hoch der Ballon gerade ist. MMn. sind diese Informationen essentiell für ein "Erlebnis Ballonstart", aber gut, wer das nicht kennt, wird es nicht vermissen. Der Ballon meldet sich also nach 2-3 Stunden wieder, wenn er kurz vor der Landung am Fallschirm herunterschwebt oder bereits untenliegt. Oder eben auch nicht.

Die Funkamateur-Ballonmissionen verlaufen anders: Man weiß immer, wo der Ballon ist. Ebenso bei den Leuten, die die Radiosonden des Wetterdienstes verfolgen. Man sollte es nicht glauben, aber da gibt es sogar Videos von Landungen - der Verfolger muss also VOR dem Ballon am Landeort sein:

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