Jahresbericht Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung 2019.

Begonnen von NoLi, 20. September 2022, 22:51

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NoLi

Jahresbericht Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung 2019, Bedeutsame Vorkommnisse mit radioaktiven Stoffen...

http://doris.bfs.de/jspui/handle/urn:nbn:de:0221-2022041232235  ---> JB2019_2022.pdf  , Seiten 334 - 344.

Norbert




DG0MG

Das ist ne ganz schöne Liste.

Zu manchen Sachen würde man sich eine nähere Erläuterung wünschen, auch wäre es schön, wenn eine grobe Ortsangabe gemacht würde (Landkreis oder wenigstens Bundesland).

Schlussfolgern kann man aber auf jeden Fall, dass es nur ein ganz geringer Anteil der Vorfälle in die Presse schafft - vermutlich die, bei denen die Feuerwehr oder CBRN-Kräfte alarmiert werden.
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

miles_teg

Ja, mehr Details fände ich auch spannend.
Viele Vorfälle sind ja kontaminierte (Metall)Teile bzw. Abfall und von Patienten kontaminierter Müll (99mTc, 131-I, viel 177Lu) bei Entsorgungs- und Recyclingsbetrieben. Insofern ist es natürlich beruhigend das diese Betriebe inzwischen meist (?) gut eigenüberwacht sind.
Bei einigen der Vorfällen, die sich auf Privatpersonen beziehen, frage ich mich aber schon wie es dazu kam. Jemand hat Mineralien gesammelt, ist verstorben und die Angehörigen wollen es loswerden?
Aus dem professionellen Umfeld gibt es scheinbar recht wenige Berichte. Die, die es dann aber in die Liste schaffen sind aber auch nicht ganz ohne.

Zitatunbemerktes fehlerhaftes Zurückfahren der Strahlenquelle sowie Tragen von ausgeschalteten
elektronischen Dosimetern (menschliches Versagen; 30 mSv und 100 mSv

ZitatGrenzwertüberschreitung Mitbeiter in der Strahlenquellenprduktion (Kr-85), Augenlinsendosis 23 mSv, Ursache trotz intensiver Nachforschungen noch nicht erkannt

Zitatzusätzliche Exposition einer schwangeren Mitarbeiterin (Tc-99m) in einem Therapiezentrum, Kontamination von Händen und Gegenständen nach Verzicht auf das Tragen von Handschuhen; Hautdosis der
Mitarbeiterin 1,1 mSv. Dosis für das ungeborene Kind 1,5 mSv, Abmahnung und temporäre Versetzung der Mitarbeiterin
:o Das letztere ist schon irgendwie unfassbar...


Kermit

Der Bericht ist immer interessant, hat aber auch das Potential, mehr Angst zu verbreiten, als nötig. zum Beispiel hier:

Fund eines radioaktiv kontaminierten Zellstofftuchs (I-131,
0,66 MBq) bei einer Privatfirma
unzulässige Entsorgung
oder hier

Fund von radioaktiv kontaminiertem Hausmüll (Lu-177) bei einer
thermischen Abfallverwertungsanlage
unzulässige Entsorgung

Beide Nuklide werden noch in geringen Mengen von den Patienten nach der regelhaften Entlassung von den nuklearmedizinischen Therapiestationen ausgeschieden, und gelangen zum Beispiel als Taschentuch oder Vorlage bzw Windel in den Hausmüll. Von unzulässiger Entsorgung kann also keine Rede sein...

Tc-99m und die PET-Nuklide sind sicher eher zerfallen, als der Abfall durch die Anlagen läuft.

Die heutigen Messmöglichkeiten bei den Entsorgungsfirmen und Kläranlagen sind so empfindlich geworden, und nicht nur auf radioaktive Stoffe allein ausgerichtet, das man auch die Gesundheitssituation (oder meinethalben auch die "Krankheitssituation") der Ortschaft abbilden kann.

Die Frage ist halt immer, wie geht man mit dem Wissen und den Daten um.

Kermit

Zitat von: miles_teg am 21. September 2022, 10:58Das letztere ist schon irgendwie unfassbar...

und ja, das ist zumindest bedenklich.

Wobei mich hier die  - vermutlich - abgeschätzte Dosis die mit Tc-99m entstanden sein soll, bzw. die Berechnung interessieren würde. Ausserdem ist der Zusatz "Therapiezentrum" in Verbindung mit Tc-99 etwas seltsam, weil Tc-99m ja ein Diagnostik Nuklid ist.

Im Radionuklidlabor (Heißlabor) hat eine Schwangere nichts zu suchen, im Kontrollbereich auch nicht, solange sie nicht selbst als Patientin untersucht wird.

NoLi

Zitat von: Kermit am 21. September 2022, 23:51...
Beide Nuklide werden noch in geringen Mengen von den Patienten nach der regelhaften Entlassung von den nuklearmedizinischen Therapiestationen ausgeschieden, und gelangen zum Beispiel als Taschentuch oder Vorlage bzw Windel in den Hausmüll. Von unzulässiger Entsorgung kann also keine Rede sein...
...
In der Strahlenschutzverordnung Anlage 3, Tabelle 1, Spalte 3 gibt es Aktivitätsgrenzwerte der uneingeschränkten Freigabe von festen und flüssigen Stoffen aus einem genehmigungspflichtigen Umgang. Die liegen beispielsweise bei

Tc-99m = 100 Bq/g
J-131 =  10 Bq/g
Lu-177 = 100 Bq/g

Sobald ein Taschentuch, eine Windel etc. in den Haus- oder Gewerbemüll wandert, erfolgt eine unkontrollierte Weiterverbreitung, und damit greifen diese Aktivitätsgrenzwerte wie bei einem Freigabeverfahren aus kerntechnischen Anlagen oder Industriebetrieben mit Umgang von offenen radioaktiven Stoffen. Dabei wird nicht über die Herkunft unterschieden (wo, außer in der Nuklearmedizin, sollte z.B. Tc-99m noch verwendet werden?).
Somit waren die aufgefundenen Objekte eine unzulässige Entsorgung.

Zitat von: Kermit am 22. September 2022, 00:04...
Im Radionuklidlabor (Heißlabor) hat eine Schwangere nichts zu suchen, im Kontrollbereich auch nicht, solange sie nicht selbst als Patientin untersucht wird.
Im Radionuklidlabor (Heißlabor) mit offenen radioaktiven Stoffen größer Freigrenzen dürfen Schwangere nicht arbeiten, sehr wohl aber in Kontrollbereichen (Röntgen und umschlossene Strahler); es muß dort nur sichergestellt sein, dass die Dosis bis zum Ende der Schwangerschaft 1 mSv nicht überschreitet.

Norbert

Kermit

Hallo Norbert, Du hast natürlich mit beiden Einlassungen recht  :)

Ich hätte exakter schreiben sollen, Aufenthaltsverbot für Schwangere in Kontollbereichen in der Nuklearmedizin  ;) ,
das habe ich vorausgesetzt, weil ja von Tc-99m die Rede war. Natürlich kann auch in Röntgenbereichen mit Tc-99m umgegangen werden, wenn die Kontrollbereiche (dann meist temporär) dazu eingerichtet werden. Das kommt aber nicht so häufig vor und betrifft dann meistens die Vorbereitung zur SIRT..


Zu 1.
Zitat von: NoLi am 22. September 2022, 12:40der uneingeschränkten Freigabe von festen und flüssigen Stoffen aus einem genehmigungspflichtigen Umgang

und hieran kann man sich lange "abarbeiten"...., an der Massen/Volumina oder Gewichten ebenso, denn wenn man den Müllbeutel erst aufmachen muss, um das Taschentuch zu finden und zu wiegen, würde das gleiche Vorgehen auch beim Halipac gelten können. Das wird (und ist) eine Diskussion ohne Ende bei mancher Behörde und leider von Bundesland zu Bundesland auch noch diametral unterschiedlich.

Was mich persönlich umtreibt, es gibt Vorgaben zur regelhaften Entlassung von Therapiestationen, die werden in der Regel eingehalten und das 1mSv/a Konzept für die Bevölkerung. Da sollte man dann mit leben können oder einfach ausgedrückt, die Kirche im Dorf lassen.
Sonst haben wir bald die "bösen" Bananen mit dem K-40 an der "Backe" ;)

 

NoLi

Zitat von: Kermit am 22. September 2022, 15:39...
und hieran kann man sich lange "abarbeiten"...., an der Massen/Volumina oder Gewichten ebenso, denn wenn man den Müllbeutel erst aufmachen muss, um das Taschentuch zu finden und zu wiegen, würde das gleiche Vorgehen auch beim Halipac gelten können. Das wird (und ist) eine Diskussion ohne Ende bei mancher Behörde und leider von Bundesland zu Bundesland auch noch diametral unterschiedlich.

Was mich persönlich umtreibt, es gibt Vorgaben zur regelhaften Entlassung von Therapiestationen, die werden in der Regel eingehalten und das 1mSv/a Konzept für die Bevölkerung. Da sollte man dann mit leben können oder einfach ausgedrückt, die Kirche im Dorf lassen.
Sonst haben wir bald die "bösen" Bananen mit dem K-40 an der "Backe" ;)
Leider gibt die Strahlenschutzverordnung  für diese Fälle nicht viel her.

Für Kliniken/Praxen gilt für nuklearmedizinisch behandelte Patienten in §122:

"§ 122 - Strahlenschutzverordnung (StrlSchV)

§ 122 Beschränkung der Exposition

(1) 1Der Strahlenschutzverantwortliche hat dafür zu sorgen, dass Maßnahmen ergriffen werden, um die Exposition von Betreuungs- und Begleitpersonen zu beschränken. 2Er hat dafür zu sorgen, dass innerhalb von sechs Monaten nach Aufnahme einer Tätigkeit geprüft wird, ob die Festlegung von Dosisrichtwerten für die Exposition von Betreuungs- und Begleitpersonen ein geeignetes Instrument zur Optimierung des Strahlenschutzes ist. 3Der Strahlenschutzverantwortliche hat auch dafür zu sorgen, dass ein Leitfaden für den Strahlenschutz von Betreuungs- und Begleitpersonen erstellt wird.

(2) Der Strahlenschutzverantwortliche hat dafür zu sorgen, dass für jede Art der Untersuchung und Behandlung die Expositionen der Personen, an denen ionisierende Strahlung oder radioaktive Stoffe angewendet werden, regelmäßig ausgewertet und bewertet wird.

(3) Der Strahlenschutzverantwortliche hat dafür zu sorgen, dass die diagnostischen Referenzwerte nach § 125 Absatz 1 Satz 1 bei Untersuchungen von Personen mit radioaktiven Stoffen oder ionisierender Strahlung zugrunde gelegt werden.

(4) 1Der Strahlenschutzverantwortliche hat dafür zu sorgen, dass eine Person, die mit radioaktiven Stoffen behandelt wurde, erst dann aus dem Strahlenschutzbereich entlassen wird, wenn davon ausgegangen werden kann, dass hierdurch für Angehörige und Dritte eine effektive Dosis von nicht mehr als 1 Millisievert auftreten kann. 2Ist im Einzelfall eine Entlassung aus medizinischen Gründen vor diesem Zeitpunkt erforderlich, so hat der Strahlenschutzverantwortliche dafür zu sorgen, dass dies schriftlich begründet und der zuständigen Behörde mitgeteilt wird.

§ 121 ←
→ § 123"

Quelle: https://www.buzer.de/122_StrlSchV.htm

Also Abschnitt (4) begrenzt die effektive Dosis von Drittpersonen auf 1 mSv. Dies beißt sich mit den Grenzwerten in der Anlage 3 Tabelle 1 für die spezifische Aktivität, bei deren vorgeschriebenen Anwendung für durch behandelte Patienten verursachten Reststoffe die effektive Dosis von unbeteiligten Personen auf 10 µSv/a beschränkt wird.

Ich denke, das wäre mal ein Fall für Juristen.

Übrigens: für K-40 gilt für feste und flüssige Abfälle laut vorgenannter Tabelle für die uneingeschränkte Freigabe ein Grenzwert von 1 Bq/g...Pottasche (K2CO3) hat 17,2 Bq/g...also nicht wegwerfen, sonst meldepflichtig bei Fund :rtfm:  :dash2:

Norbert

Henri

Zitat von: NoLi am 22. September 2022, 17:48(4) 1Der Strahlenschutzverantwortliche hat dafür zu sorgen, dass eine Person, die mit radioaktiven Stoffen behandelt wurde, erst dann aus dem Strahlenschutzbereich entlassen wird, wenn davon ausgegangen werden kann, dass hierdurch für Angehörige und Dritte eine effektive Dosis von nicht mehr als 1 Millisievert auftreten kann.

Na ja, bin kein Jurist, aber das gibt doch ausreichend Freiräume? "Wenn davon ausgegangen werden kann", das kann man an vielem festmachen und anhand der spezifischen Lebensumstände des Patienten und der diesem mitgegebenen Verhaltensanweisungen weitgehend frei definieren. Oder?  :unknw:

Wenn man schreiben würde, dass die Überschreitung der 1 mSv sicher ausgeschlossen werden muss, müsste man hingegen von einem "Worst Case Szenario" ausgehen, aber das ist hier ja anscheinend ganz bewußt vermieden worden...

Henri

ZitatÜbrigens: für K-40 gilt für feste und flüssige Abfälle laut vorgenannter Tabelle für die uneingeschränkte Freigabe ein Grenzwert von 1 Bq/g...Pottasche (K2CO3) hat 17,2 Bq/g...also nicht wegwerfen, sonst meldepflichtig bei Fund :rtfm:  :dash2:

Hmmm... so manch ein Stein, den man auf der Strasse findet, könnte das auch schaffen. Ich sag's ja, man steht immer mit einem Bein im Knast...    :superstition:

Kermit

Zitat von: NoLi am 22. September 2022, 17:48Ich denke, das wäre mal ein Fall für Juristen.

das stimmt und manchmal braucht man auch noch Philosophen  ;)

Leider haben Juristen oft wenig Ahnung vom Strahlenschutz, und die Strahlenschützer von der "Juristerei", das macht die Sache dann immer "spannend".

Zitat von: NoLi am 22. September 2022, 17:48dass dies schriftlich begründet und der zuständigen Behörde mitgeteilt wird.

Die Mitteilung über die vorfristige Entlassung - die meisten Behörden aktzeptieren inzwischen nur noch medizinische Gründe, bei sozialen Gründen zum Beispiel "notwendige Pflege von Angehörigen" schauen sie noch mal sehr genau hin- ist ja gerade daher wichtig, das die Behörde Funde wie eben die kontaminierten Taschentücher oder Windeln dann einschätzen kann und eben nicht gleich den CBRN-Zug da hinschickt  ;)

Zumindest in Meckpom und Sachsen funktioniert das recht ordentlich  :)
(man muss ja die Behörden auch mal loben)

schwierig bleibt es trotzdem

etalon

Zitat von: NoLi am 22. September 2022, 17:48Also Abschnitt (4) begrenzt die effektive Dosis von Drittpersonen auf 1 mSv. Dies beißt sich mit den Grenzwerten in der Anlage 3 Tabelle 1 für die spezifische Aktivität, bei deren vorgeschriebenen Anwendung für durch behandelte Patienten verursachten Reststoffe die effektive Dosis von unbeteiligten Personen auf 10 µSv/a beschränkt wird.

Ich denke, das wäre mal ein Fall für Juristen.

Übrigens: für K-40 gilt für feste und flüssige Abfälle laut vorgenannter Tabelle für die uneingeschränkte Freigabe ein Grenzwert von 1 Bq/g...Pottasche (K2CO3) hat 17,2 Bq/g...also nicht wegwerfen, sonst meldepflichtig bei Fund :rtfm:  :dash2:

Norbert

Diese Freigrenzen gelten nur, wenn der Stoff wegen seiner Radioaktivität gehandhabt wird. Das ist bei Pottasche, Beton, Steinen, etc. in der Regel nicht der Fall.

Auch was die Dosis von 1 mSv/a für Dritte betrifft, so schreibt die StrlSchV ausdrücklich von realistischen Expositionspfaden, welche bei der Beurteilung zu Grunde zu legen sind. Da fällt mir kein realistisches Szenario ein, bei dem z.B. ein Stadtmitarbeiter bei der Müllabfuhr durch ein paar entsorgte Tücher mit solch einer Äquivalentdosis konfrontiert wäre. Anders sieht es aus, wenn es sich um beruflich strahlenexponiertes Personal handelt. Dann muss auch jede Dosis <1 mSv/a bilanziert werden, sofern sie an der Arbeitsstätte aufgelaufen ist.

Grüße Markus