Üben mit echten Strahlern bei der Armee: NVA, GSSD, Bw u.a.

Begonnen von DG0MG, 02. Mai 2023, 23:56

⏪ vorheriges - nächstes ⏩

DG0MG

An verschiedenen Stellen findet sich der Hinweis, dass bei der NVA (Nationale Volksarmee, Streitkräfte der DDR) Entaktivierungsübungen von Waffen und Technik durchgeführt wurden, bei denen die Kontamination vorher durch Kupfer-64 (Cu-64) erzeugt wurde.

Beispielhaft hier: https://www.forum-ddr-grenze.de/t6083f50-Kupfer-Entaktivierungsuebung.html
https://web.archive.org/web/20130315120125/https://www.forum-ddr-grenze.de/t6083f50-Kupfer-Entaktivierungsuebung.html

Die HWZ beträgt etwa 12 Stunden, aber natürlich stellte das trotzdem eine unnötige Strahlenbelastung dar, über deren Höhe ich jetzt erstmal keine Vorstellung habe.

Kennt jemand weitere Geschichten, Links?
Gibts eine DV (Dienstvorschrift), die die Verfahrensweise näher erläutert?
Wurde das bei der Bw auch gemacht?
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

kater

Ergänzung: Im Bericht über radioaktive WGT-Altlasten steht auf Seite 12, dass die sowjetischen Truppen mit dem Betastrahler  P-32 als offenem Darstellungsmittel geübt haben (Erkundung und Dekontamination). Aktivität 220 MBq/g, 10 g je Ampulle, Halbwertszeit rd. 14 d.

DG0MG

Ah, sehr gut, das Dokument hatte ich in diesem Zusammenhang gar nicht auf dem Schirm.

Vom P-32 (HWZ ~14 Tage) ist garantiert nichts mehr übrig.  Die HWZ der möglichen Verunreinigungen des URP mit Kobalt-60 (~5 Jahre), Barium-133 (~10 Jahre) und Europium-152 (~13 Jahre) lassen es aber möglich erscheinen, dass man vor Jahren an Orten, wo das Zeug eingesetzt wurde (Truppenübungsplätze?) noch irgendetwas messen konnte.

Das erforderte ja auch eine gewisse Logistik: Wenn das Zeug hier auf dem Gebiet der DDR für eine Ausbildung gebraucht wurde, musste es ja relativ schnell aus der Sowjetunion herangeschafft werden. Das wird ja nicht (wie vielleicht das obige Cu-64 für die NVA) in Rossendorf produziert worden sein.
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

DG0MG

Bei der NVA gab es auch einen "Radiologischen Ausbildungssatz RABS 75 / RABS 80":
http://www.rwd-mb3.de/ftechnik/pages/rabs75.htm
  • Radionuklid Cs-137
  • 10 Präparate 37 MBq
  • 10 Präparate 74 MBq
  • 4 Präparate 185 MBq
"Präparate dienen zur realen Messung mit Kernstrahlungsmessgeräten und zur Bestrahlung von Dosimetern"

und eine "Radiologische Ausbildungsanlage RAA 65"
http://www.rwd-mb3.de/ftechnik/pages/raa65.htm

bei der offenbar ein starker Strahler an einem Teleskopmast nach oben gefahren wurde, um eine Kontamination einer größeren Fläche zu simulieren. Eine Aktivität ist zwar nicht angegeben, aber das müssen schon GBq gewesen sein, denke ich.


     
     
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

DG0MG

In einer Chronik des DRK Plauen findet sich folgender interessanter Abschnitt eines Zeitzeugen:

"An eine Besonderheit bei einem Leistungsvergleich der Aufklärungstrupps und der Gruppen
der Ersten medizinischen Hilfe kann ich mich noch erinnern. Ein hauptamtlicher Mitarbeiter
der ZV öffnete den Verband eines auf dem Weg zum Verbandsplatz getragenen ,,Opfers"
leicht und schob einen kleinen schwarzen Stein ein. Prompt stellte der Geigerzähler des Aufklärers
vor dem Behandlungszelt kurze Zeit später an dieser Stelle des Geschädigten
radioaktive Strahlung fest. Die Strahlungsquelle wurde daraufhin sofort wieder entfernt. Wir
Realistiker waren von dieser Methode am Menschen einigermaßen überrascht, wobei ich von
der NVA her die Entaktivierungsübung von mit Cu64-verseuchter Technik bereits kannte.
"

Der "schwarze Stein" könnte dann vielleicht aus Zobes gewesen sein, das ist nicht weit weg von Plauen.
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

DG0MG

#5
Zitat von: DG0MG am 03. Mai 2023, 13:03ei der offenbar ein starker Strahler an einem Teleskopmast nach oben gefahren wurde, um eine Kontamination einer größeren Fläche zu simulieren. Eine Aktivität ist zwar nicht angegeben, aber das müssen schon GBq gewesen sein, denke ich.

Durch einen Zufall habe ich eine Literaturquelle [1] gefunden, die diese Frage beantwortet:

"So gab es - unglaublich genug - sechs stationäre
Kernstrahlungsquellen - bestückt mit den Nukliden
Kobalt 60 - mit Aktivitäten zwischen 1.000 und 2-000
Curie, denen Soldaten im Umkreis von 400 m kurzzeitig
ausgesetzt wurden. Ergänzt wurde das System durch
fahrbare Strahlungsquellen mit Aktivitäten von ca. 400
Curie
, hinzu kamen radiologische Ausbildungssätze in
Form von Haftpräparaten und schließlich offene Strahlenquellen.
"

400 Curie = 14.8 Terabecquerel  :o  Nicht Giga-, sondern Tera-Becquerel! Offen - an einem Mast!

Dieses Bild der "Radiologischen Ausbildungsanlage RAA 65" in Arbeitsposition stammt aus [2]:

Sie dürfen in diesem Board keine Dateianhänge sehen.

Und demzufolge gab es weiterhin im Gelände des Übungsplatzes Chemische Dienste in Storkow festinstallierte Strahler mit ca. der fünffachen Aktivität.

[1] Volker Koop, Dietmar Schössler: "Erbe NVA"
    Eindrücke aus ihrer Geschichte und den Tagen der Wende
    Akademie der Bw f. Information u. Kommunikation, 1992
[2] Rolf Büttner: Die "Chemiker" der NVA und der Grenztruppen der DDR
    Aufgaben, Organisation und Entwicklung der Spezialtruppe Chemische Dienste
    Verlag Dr. Köster, Berlin 2012
    https://www.verlag-koester.de/wp-content/uploads/2012/09/File-1349625717.pdf (Leseprobe)




"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

NoLi

Wow, Respekt, nicht schlecht...damit konnte man realistische Ausbildungen betreiben, sofern alle Sicherheitsaspekte eingehalten wurden.

Bei der Bundeswehr gab es m.K. keine adäquate Ausbildungsmöglichkeit. Die Besatzungen der Spürpanzer Fuchs und die Strahlenspürer übten u.a. auch bis in den 1990er Jahren auf einem Truppenübungsplatz im französischen Bourges an der "Ecoles Militaires de Bourges". Dort wurde

a) auf einem fußballfeldgroßen Platz mit Hilfe eines Streufahrzeuges La-140 (Halbwertszeit 1,7 Tage = 41 Stunden) ausgebracht, was zu einer von Fahrzeugen aus messbaren Dosisleistung bis zu 3 mSv/h führte.
b) auf Nebenfeldern Fahrzeuge, Fluggeräte und Waffen mit La-140 kontaminiert für Dekontaminationsübungen.

Als aber bei einer Luftmessstation (Hochleistungsluftprobensammler) der PTB in Norddeutschland in Spuren La-140 nachgewiesen werden und mit Hilfe von Luftmassenbewegungen der Entstehungspunkt Nähe Bourges ermittelt werden konnte, wurde diese Übungen wegen "Dekontaminationsübung in Bourges / Frankreich.- Strafanzeige gegen den Bundesminister der Verteidigung wegen angeblicher Verstöße gegen die Strahlenschutzverordnung" ( https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/YIRZZMP4GW4S2A3YOUGWT5IVAAWLHFCF ) eingestellt.

Aus einer Schrift der PTB: " • Von 1988 bis 1996 wurde mehrmals
Lanthan- 140 (La-140) ohne sein Mutternuklid
Barium-140 (Ba-140) nachgewiesen. Zwischen-
zeitlich stellte sich heraus, das La-140 für die
Dekontaminationsausbildung im militärischen
Bereich verwendet wurde. Eine diesbezügliche
Publikation erschien 1987 in einer wehrtech-
nischen Fachzeitschrift [2].
"
(https://www.ptb.de/cms/fileadmin/internet/publikationen/ptb_mitteilungen/mitt2014/Heft1/PTB-Mitteilungen_2014_Heft_1.pdf) Seite 57.

Das ganze Übungsgelände in Bourges war als Kontrollbereich ausgewiesen, Zutritt nur mit persönlicher Schutzausrüstung und Dosimetrie. Der Ausgang war nur durch Passieren einer Ganzkörpermonitoranlage möglich.

Als die Presse mal darüber berichtete, drehten einige Personen von (Umwelt)Verbänden in Deutschland hohl, fühlten sich durch möglicherweise restkontaminierte zurückkommende Fahrzeuge bedroht und erstatteten Anzeige gegen das Verteidigungsministerium, welches daraufhin diese Übungen aussetzte. Ob heute dort noch ähnliches statt findet, wage ich zu bezweifeln...zumindest bestimmt nicht mit der Bundeswehr.

Norbert

Kermit

Zitat von: NoLi am 15. Juli 2025, 10:55welches daraufhin diese Übungen aussetzte.

ein wenig off topic, aber doch irgendwie passend zum Thema:

Bei der letzten Brandschutz und Evakuierungsübung, an der ich teilnehmen durfte, war ein ganz wichtiger Aspekt bei der Erklärung durch den (zertifizierten) Übungsleiter wann und wie welcher Feuerlöscher benutzt werden soll, der Umwelteinfluss der Löschmittel... :-\

Also Co2 und Pulver gaanz schlecht für die Umwelt...

Ich hatte erst gedacht, das ich mich verhört habe, aber dem war nicht so...

Fazit, vor dem Löschen an das Klima und die Umwelt denken, dann den Feuerlöscher holen...


NoLi

Bei Feuerlöschübungen sind nur wassergefüllte (Übungs)Löscher mit Druckluftfüllung erlaubt... :rtfm:

Norbert

DG0MG

Zitat von: NoLi am 15. Juli 2025, 10:55damit konnte man realistische Ausbildungen betreiben, sofern alle Sicherheitsaspekte eingehalten wurden.

Hierzu habe ich in [3] Informationen gefunden, wie diese Sicherheitsaspekte in der NVA aussahen:

Sie dürfen in diesem Board keine Dateianhänge sehen.

Das klingt jetzt erträglich, aber in wieweit das eingehalten wurde, wissen wir natürlich nicht. Mit dem ALARA-Prinzip haben natürlich 200µSv pro Ausbildung gar nichts zu tun.

[3] NVA Dienstvorschrift: A 053/1/407 "AUSBILDUNGSMITTEL DER CHEMISCHEN DIENSTE", 1986
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

NoLi

Zitat von: DG0MG am 17. Juli 2025, 10:45...
Mit dem ALARA-Prinzip haben natürlich 200µSv pro Ausbildung gar nichts zu tun.
...
Na ja, bei der Ausbildung von Fachkräften müssen auch Kompromisse eingegangen werden, sonst ist ein Erfolg nicht gegeben. Auch bei der Feuerwehr ist eine jährliche (Ausbildungs)Dosis von 1 mSv pro Angehörigem zulässig, was aber nicht heißt, dass diese Dosis auch verabreicht werden muß; nach Möglichkeit wird man drunter bleiben. Klar, heutzutage gibt es Simulationsprogramme, diese sind aber in meinen Augen nur eingeschränkte Hilfsmittel und ersetzen in keinem Fall eine realistische echte Darstellung! Autofahren mit Prüfung lernt man auch nicht ausschliesslich im Simulator und wird dann auf den realen Strassenverkehr losgelassen. Und eine maximale Jahresdosis von 5 mGy resp. 5 mSv ist auch nicht die Welt, wenn man bedenkt, dass heutzutage für beruflich strahlenexponierte Personen das 4-fache, also 20 mSv, jährlich zulässig sind. Insofern muß man der NVA einen verantwortungsbewußten Umgang zollen.

Norbert

DL3HRT

Wenn ich in der Tabelle bei der 400 Ci Quelle nachschaue, so ergibt das in 100 m Entfernung eine Dosisleistung von 250 µGy/h, also bei Gammastrahlung 250 µSv/h  :o . Respekt!!!

miles_teg

Ich finde eher das 32P übel. Damit hatte ich früher mal zu tun und es wurde mir immer eingeschärft, das Zeug ernst zu nehmen. Eine unbemerkte Hautkontamination kann eine substantielle lokale Dosis bedeuten, bis hin zu deutlichen beta-Verbrennungen. Und das offen im Gelände...

ZitatExternal exposure (arising from personal contamination) [P-32 (Phosphorus-32)]

The values below are either for uniform contamination on the skin (for 1 kBq/cm2) or as a single droplet (1 kBq) and are specified in mSv/h. It is assumed that no PPE is being worn which would attenuate the radiation.

Uniform deposit on the skin: 1.89 mSv/h (beta dose rate)

0.05ml droplet on the skin: 1.33 mSv/h (beta dose rate)

[Note: Working with a high energy beta emitter such as P-32 can be a challenge and careless handling can result in large extremity doses to the fingers, even where gloves have been worn (i.e. glove offers negligible attenuation of the P-32 beta particles). Usefully, everything scales so understanding the problem is not difficult - a droplet of 1MBq P-32 on the finger tip will yield a dose rate of around 1.33 Sv/h (or 22.2 mSv/minute). If you are working with P-32, monitor your working environment and gloved hands frequently, remove contaminated gloves if they are found to be contaminated and then monitor the hand directly - any P-32 contamination must be washed off carefully, avoiding damage to the skin or further contamination spread].

DG0MG

Zitat von: miles_teg am 17. Juli 2025, 21:37Ich finde eher das 32P übel.

Vielleicht ist das der Grund, dass die NVA in diesem Fall nicht dem "großen Bruder" gefolgt ist. Man scheint als offene radioaktive Übungsstoffe (RÜS) nur Cu-64 und La-140 verwendet zu haben:

Sie dürfen in diesem Board keine Dateianhänge sehen.

In den Vorschriften zur Übernahme der RÜS vom Hersteller ist sogar explizit das ZfK Rossendorf genannt:

Sie dürfen in diesem Board keine Dateianhänge sehen. Sie dürfen in diesem Board keine Dateianhänge sehen.
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

DL3HRT

Bei diesen kurzlebigen Strahlern hätte ich auch weniger "Bauchschmerzen" wegen einer Kontamination. Kontamination ist möglich, das Problem erledigt sich aber nach einigen Tagen von selbst. Ein undichter Cs-137 Strahler wird da schnell zum Langzeitproblem.

ZitatIn den Vorschriften zur Übernahme der RÜS vom Hersteller ist sogar explizit das ZfK Rossendorf genannt:
Gab es in der DDR außer Rossendorf eigentlich noch andere "Hersteller" die solche Präparate liefern konnten? Mir fällt keiner weiter ein.