Warum ich einen Geigerzähler brauche

Begonnen von cesco35, Gestern um 10:06

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cesco35


In ein paar Wochen reise ich nach Kirgisistan, um eine ehemalige Uranmine zu besuchen – für einen Dokumentarfilm, den ich als freier Filmemacher drehen will. Klingt spannend, ist aber auch ein bisschen beängstigend. Denn ich habe keine Erfahrung mit radioaktiver Strahlung.

Darum suche ich gerade dringend einen bezahlbaren, aber zuverlässigen Geigerzähler. Ich will einschätzen können, wie stark das Gelände tatsächlich verstrahlt ist – und ob ich mich dort überhaupt gefahrlos aufhalten kann.

Falls jemand Tipps hat, worauf man beim Kauf achten sollte (oder ein gutes Modell kennt): Ich freue mich über jede Hilfe. Ich bin ehrlich gesagt kompletter Neuling in Sachen Strahlenschutz.

NoLi

Zitat von: cesco35 am Gestern um 10:06...
Falls jemand Tipps hat, worauf man beim Kauf achten sollte (oder ein gutes Modell kennt): Ich freue mich über jede Hilfe. Ich bin ehrlich gesagt kompletter Neuling in Sachen Strahlenschutz.
Das kommt auf deinen Etat an, der für die Beschaffung bereit steht.

Norbert

cesco35

Ich würde am liebsten um die 100 € ausgeben wollen.
Frank.

NoLi

Zitat von: cesco35 am Gestern um 13:40Ich würde am liebsten um die 100 € ausgeben wollen.
Frank.
Hallo Frank, willkommen im Forum!
Klingt nach einem interessanten Projekt, welches aber im Hinblick auf die Öffentlichkeitswirksamkeit einige Sorgfalt in der Recherche erfordert.

Um die 100 Euro, hmmm, da wird es schwierig.
In dieser Preisklasse sind fast ausschliesslich chinesische Geräte zu bekommen. Das Problem bei diesen liegt beispielsweise in der teilweise relativ hohen Ungenauigkeit bei der Dosisleistungsmessung etlicher Modelle sowie im Fehlen von akustischer Impulswiedergabe ("Ticker") der registrierten Einzelimpulse des Zählrohres, obwohl Piezos zur akustischen Signalisierung von Alarmschwellenüberschreitungen vorhanden sind.

Für die Dosisleistungsmessung -und nur diese ist für eine Personendosisabschätzung pro Zeiteinheit (Stunde, Tag, Woche, Monat, Jahr) relevant-  darf ausschliesslich nur der Gammastrahlenanteil (= Photonen) gewertet werden, weil nur diese Strahlenart für die Ganzkörperdosis verantwortlich ist. Betastrahlung (= Elektronen) bewirken "nur" Dosis der Haut und der Augenlinse...dies hängt mit der maximalen Reichweite bzw. Eindringtiefe in Gewebe zusammen.
Dies bedeutet aber auch, dass bei Strahlungsmessungen in µSv/h unbedingt zwischen diesen beiden Strahlungsarten unterschieden werden muß, denn die Dosisleistungsangaben µSv/h beziehen sich durch Kalibrierung ausschliesslich auf die Strahlenart Gamma-Strahlung! Die chinesischen Geräte unterscheiden bauartbedingt im Dosisleistungsmodus (Anzeige = µSv/h) nicht zwischen Beta- und Gammastrahlung, so dass, physikalisch bedingt, in einem Beta/Gamma-Mischstrahlenfeld ein wesentlich zu hoher Messwert generiert und angezeigt wird. Also muß für eine richtige Dosisleistungsanzeige bei der Messung der Betaanteil absorbiert werden; dies kann mit Hilfe eines 1 mm dicken Kupfer- oder (Edel)Stahlblechs erfolgen. Das Messgerät sollte in diesem Fall während der Messung mindestens mit der unteren Hälfte bzw. Unterseite in einem entsprechenden Metallschälchen (findet man z.B. auf Flohmärkten) liegen.
Gerade bei Rückständen der Uranerzverarbeitung hat man es mit Mischstrahlenfeldern zu tun.


Meine Geräteempfehlungen wären:
- GQ GMC-500plus (157 €)
- GQ GMC-800  (99 €)
- FS 5000  (69,98 €)
- FELLAT BR-9B, verschiedene Anbieter (49 € - 79 €)
- XR-1, verschiedene Anbieter  (33€ - 55 €)
- C 101, verschiedene Anbieter  (39€ - 55€)
Alle diese Geräte besitzen die Ticker-Funktion, die Preisangaben stammen derzeit von A__zon.de .
Die Geräte "GMC-500+" und "GMC-800" werden zwar in China konfiguriert, sind aber in den USA entwickelt, designed, endmontiert und geprüft worden und werden bei Bestellung bei "Verkäufer GQ Electronics UK Europe" via Düsseldorf vertrieben (d.h. es fallen keine zusätzlichen Zoll- und Einfuhrgebühren an, es gilt der ausgeschriebene Angebotspreis!)...Lieferung in 2 bis 4 Tagen.

Vom häufig gepriesenen "GC-01" würde ich dringend abraten, da dieses Modell  -je nach Hersteller-  mit unterschiedlichen Detektoren bestückt sein kann, welche sehr differenzierte Empfindlichkeiten aufweisen, aber weder in den Angeboten noch anderswie darauf hingewiesen wird, was für ein Zählrohrtyp eingebaut ist!

Ich hoffe, dies hilft Dir etwas weiter.

Gruß
Norbert

cesco35

Hallo Norbert,

vielen Dank für die schnelle und ausführliche Antwort.

Wenn ich dich richtig verstehe, ist es wichtig, einen Geigerzähler zu haben, der den Gammastrahlenanteil erfasst. Könntest du mir das günstigste Modell empfehlen, das deinen genannten Anforderungen entspricht, ohne dass ich zusätzlich Kupfer- oder Edelstahlblech verwenden muss, aber dennoch zuverlässig ist? Wenn ich am Drehort bin, möchte ich als Laie erkennen können, ob ich schnell das Weite suchen muss oder wie lange ich mich maximal dort aufhalten darf, ohne gesundheitliche Schäden befürchten zu müssen.

NoLi

Den Gammastrahlenanteil erfassen alle Consumer-Geräte, auch die günstigen...aber leider auch den für die Dosisleistungsanzeige störenden und messwertverfälschenden Betastrahlenanteil. Mit diesen Geräten bleibt nichts anderes übrig als mit benannten Betaabsorbern zu messen, um die tatsächliche körperrelevante Dosisleistung µSv/h zu bestimmen und über die Aufenthaltszeit eine daraus resultierende Körperdosis zu berechnen.
Für nicht beruflich strahlenexponierte Personen (ohne ärztliche Überwachung) gilt ein gesetzlicher Ganzkörper-Jahresdosisgrenzwert von 1 mSv (1000 µSv). Die maximale Aufenthaltszeit kann man aus der Messgeräteanzeige, die eine Dosis pro Stunde anzeigt, errechnen. Gleiches gilt auch für die Abschätzung und Kontrolle einer aufgenommenen Dosis über die Aufenthaltszeit.

Wenn Du ohne Beta-Absorber messen möchtest, bleibt nur ein (eichfähiges) Profigerät übrig (Neupreise ab ca. 1600 €). Es gibt aber noch die Möglichkeit, solch ein Profi-Gerät (GRAETZ X-50 ZS) als vom Bund  -Zivil-/Katastrophenschutz-  ausgemustertes Dosisleistungsmessgerät via Eb_y.de und Kleina_zeigen.de zu erwerben, denn diese um das Jahr 1990 eingeführten Geräte wurden auf Grund von Modellwechsel ausgemustert und palettenweise versteigert, so dass deren Käufer diese als Einzelgeräte auf den benannten Auktionsplattformen anbieten. Die Preise hierfür liegen für den Sofortkauf allerdings um die 300 €. Diese Geräte sind von der Bauart her so konstruiert, dass sie nur die ganzkörperrelevante Gammastrahlung messen und anzeigen.


Wenn es aber nur darum geht, qualitativ einen Hinweis auf wenig/medium/viel Strahlung ohne quantitative Messwerte zu bekommen, tut es jeder einfache, günstig angebotene China-Messer...mit Ausnahme von diesem hier, der teilweise nicht mal ein richtiges Zählrohr enthält: FAKE!: Geigerzähler oder nicht Geigerzähler? Das ist hier die Frage!  https://www.geigerzaehlerforum.de/index.php/topic,2081.0.html

Norbert

cesco35

Hallo Norbert,

ich habe gerade bei Amzon den GQ GMC-800 bestellt. Danke für die Empfehlungen. Kann ich dir weiterhin Fragen zur Messmethode und Ganzkörper- Jahresdosisgrenzwert stellen?

Frank.

NoLi

Zitat von: cesco35 am Heute um 09:04ich habe gerade bei Amzon den GQ GMC-800 bestellt. Danke für die Empfehlungen. Kann ich dir weiterhin Fragen zur Messmethode und Ganzkörper- Jahresdosisgrenzwert stellen?
Moin Frank.
:good3:
Ja, natürlich, jederzeit.
Gruß
Norbert

cesco35

Hallo Norbert,

bei mir sind ein paar Fragen aufgekommen:
Ich war vor zwei Jahren schon einmal an der ehemaligen Uranmine und hatte danach ein Kribbeln auf der Haut. War das nur Einbildung oder könnten das tatsächlich – wie von dir erwähnt – Betastrahlen gewesen sein?
Wie gefährlich sind diese Betastrahlen eigentlich, und warum möchte man sie bei Messungen ausschließen?

Habe ich dich richtig verstanden: Ich soll den Geigerzähler zur Hälfte in einen Kupfer-Edelstahlbehälter legen, damit Betastrahlen abgeschirmt und die Messwerte nicht verfälscht werden?  Meinst du so ein Behältnis?

Außerdem: Warum wird der gesetzliche Grenzwert für die Ganzkörperdosis auf ein ganzes Jahr bezogen? Wenn ich z. B. zwei Drittel dieser Dosis innerhalb von nur drei Stunden abbekomme, ist das doch wesentlich belastender, oder?


Und noch eine Verständnisfrage – ist diese Beispielrechnung korrekt?
Angenommen, mein Gerät zeigt 2,5 µSv/h an und ich bleibe drei Stunden an der Uranmine:
Dann hätte ich eine Dosis von 7,5 µSv erhalten und könnte – rein rechnerisch – insgesamt 400 Stunden pro Jahr dort verbringen, ohne die 1 mSv-Grenze zu überschreiten.
Heißt das, ich müsste mir bei einem solchen Aufenthalt keine Sorgen machen?

Gruß
Frank.

NoLi

Zitat von: cesco35 am Heute um 12:53Ich war vor zwei Jahren schon einmal an der ehemaligen Uranmine und hatte danach ein Kribbeln auf der Haut. War das nur Einbildung oder könnten das tatsächlich – wie von dir erwähnt – Betastrahlen gewesen sein?
Wie gefährlich sind diese Betastrahlen eigentlich, und warum möchte man sie bei Messungen ausschließen?
Das war, pardon, nur Einbildung...oder das Kribbeln hatte andere Ursachen (Insekten, Pollen, Nesseln, Staub(allergie), ...).

Betastrahlung (= Elektronen aus dem Atomkern) ist im Bezug auf die Zellwirkung nicht gefährlicher als Gammastrahlung. Dies wird bei einer Dosisermittlung durch den sogenannten "Strahlenwichtungsfaktor" dargestellt. Dieser berücksichtigt, dass die Gammastrahlung nicht direkt (weil masselos, =reine Energie) auf Zellen wirkt, sondern über den Umweg von Zusammenprall mit Hüllenelektronen von Atomen und Herausschlagen derselben (= "Compton-Elektronen"). Diese bewegten Elektronen ionisieren auf ihrem Weg weitere Atome und bewirken damit Zellschäden, weil sie eine Masse besitzen. Für die Zellen ist es schnurzpiepegal, wo diese beschleunigten ionisierenden Elektronen herstammen.

In der Messtechnik kommt der Wirkungsgrad ("Efficiency") eines Zählrohres zur Geltung. Gammastrahlung (= "locker ionisierende Strahlung") macht nur selten Wechselwirkung mit den Gasatomen im Zählrohr (von 1000 einfallenden Photonen nur ca. 1 Photon, macht ca. 0,1 % aus), aber jedes in das Zählrohr einfallende Elektron ("Betastrahlung") löst einen Wechselwirkungseffekt aus und wird registriert. Da nun für die Ganzkörperdosis(leistung) auch in tiefen Körperregionen die Gammastrahlung maßgeblich ist, werden die Geräteanzeigen in µSv/h ausschliesslich auf Gammastrahlung (= die mit geringer Zähleffektivität) abgeglichen ("kalibriert"). Ist nun auch Betastrahlung bei der Zählung vorhanden, wird dessen Anteil im Vergleich zur Gammastrahlung überproportional registriert und führt damit zu einer überhöhten Messwertdarstellung in µSv/h als dies der biologischen Wirkung entspricht; man erhält damit als Dosisleistungsanzeige "Hausnummern". Die Methode von Beta- und Gammamessung zusammen in einem Mischstrahlenfeld kann man nur mit der Maßeinheiten CPM (counts per minute) und CPS (counts per second) darstellen!

Zitat von: cesco35 am Heute um 12:53Habe ich dich richtig verstanden: Ich soll den Geigerzähler zur Hälfte in einen Kupfer-Edelstahlbehälter legen, damit Betastrahlen abgeschirmt und die Messwerte nicht verfälscht werden?  Meinst du so ein Behältnis?
Kupfer, Messing oder (Edel)Stahl, das ist weitgehend egal. Hauptsache, die Materialstärke beträgt ca. 1 mm, um die Betastrahlung abzuschirmen. Die halbe Gerätehöhe für die Schale ist ein Anhaltspunkt und muß nicht 100%ig genau getroffen werden.

Zitat von: cesco35 am Heute um 12:53Außerdem: Warum wird der gesetzliche Grenzwert für die Ganzkörperdosis auf ein ganzes Jahr bezogen? Wenn ich z. B. zwei Drittel dieser Dosis innerhalb von nur drei Stunden abbekomme, ist das doch wesentlich belastender, oder?
Im Prinzip ja. Aber die Jahresgrenzwerte sind so gelegt, dass auch die komplette Strahlungsmenge, appliziert in Bruchteilen von Minuten, zu keiner nachhaltigen Schädigung führt. Sonst würden uns ja jede Röntgenaufnahme oder gar jede CT-Untersuchung (Dosiswerte bis 30 mSv pro Untersuchung!) gefährden oder töten.

Zitat von: cesco35 am Heute um 12:53Und noch eine Verständnisfrage – ist diese Beispielrechnung korrekt?
Angenommen, mein Gerät zeigt 2,5 µSv/h an und ich bleibe drei Stunden an der Uranmine:
Dann hätte ich eine Dosis von 7,5 µSv erhalten und könnte – rein rechnerisch – insgesamt 400 Stunden pro Jahr dort verbringen, ohne die 1 mSv-Grenze zu überschreiten.
Heißt das, ich müsste mir bei einem solchen Aufenthalt keine Sorgen machen?
Das ist für Beides korrekt!

Norbert