Theracap Jod-131 Therapiekapseln und deren Abschirmung

Begonnen von Zugpferd, 20. November 2020, 22:33

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Zugpferd

So,
hier kann ich Euch ein altes Medikament vorstellen namens Theracap von Amersham Buchler.
Hier wird mit Hilfe von Iod 131 eine Kapsel geschluckt die sich im Körper verteilt und möglichst an der Schilddrüse anreichert um so therapeutisch zu helfen - z.B Krebszellen absterben zu lassen. Diese Therapieform heißt Radiojodtherapie. https://de.wikipedia.org/wiki/Radiojodtherapie

Es gab in der Nuklearmedizin damals drei Bleiabschirmungsgrößen, zwei Versionen konnte ich damals abstauben.
Die Bleidosen befanden sich in einer Blechdose umgeben von Styropor, die auf der Unterseite mit einer Abreißlasche versehen war (Würstchendose) die den Zugriff auf die Bleidosen frei gab.

Hier die kleinste Version.
In dem Behälter sind nun zwei Bleiabschirmungen, auf dem Schild außen steht nur eine, also war auch nur ein Bleitopf enthalten.
Auf dem Behältern klebte damals das gleiche Schild wie außen auf der Dose. Das gelbe Rundumband war NICHT dran, das hab ich mal ergänzt.

Der Behälter wurde zum Patienten mitgenommen, wobei sich der Patient schon auf seinem individuellem Zimmer innerhalb eines Kontrollbereiches befand, der autark vom Rest des Krankenhauses abgetrennt war, heißt vor allem eigene Lüftungsanlage und eigene Entwässerung. Der Patient konnte dann den Deckel selber abschrauben, das Mundstück einschrauben und den Tablettenhalter somit entnehmen und auch sofort mit Zugabe von Wasser schlucken, so wurden Maßnahmen getroffen das das Personal möglichst wenig in Kontakt bzw. in größerer Distanz zu dem Medikament war.

Hier mal die Bilder dazu.




Zugpferd

Hier die größere Version des Abschirmbehälters

Ansonsten das gleiche Prozedere.

Hier habe ich eine Dummy Kapsel abgestaubt. Auf den Kapseln ist auf der einen Seite ein Trefoil, auf der anderen das A Logo von Amersham.

Mit diesen Bleibehältern wurde trainiert wie die Medikamente verabreicht werden.
Auf dem Mundstück befindet sich noch eine Kappe die wir bei den Proben zu gelassen hatten um die Dummy Pille nicht zu Schlucken.
Die hat der Patient vorher entfernen müssen.

Ob die Theracaps so heute noch verwendet werden kann ich Euch nicht sagen, so wurde es 1997 gemacht.

Den Mittleren Container habe ich leider nie in die Finger bekommen.
Je nach Aktivität waren die Bleibehälter eben klein, mittel oder groß. Die Aktivität richtete sich nach dem individuellem Patienten.

Henri

Auf dem Blecheimer-Aufkleber steht "Apothekenpflichtig".

Bekommt man die Dinger ohne Rezept???

Zugpferd

Wenn man sich die heutige Definition von Apothekenpflichtig bei Wiki ansieht kommt es einem so vor, ja... kann ich mir aber nicht vorstellen.
Genauso schön ist es das Medikament vor Kindern fernzuhalten... als normaler Bürger kommst Du da nicht ran. Als MTAR packst du es aus, stellst es dem Arzt parat, der kontrolliert, gibt es dem Patienten und fertig. Vorher wird es hergestellt und verpackt... Handling sicherlich in einer Art Heissen Zelle bis es im Blei ist und verpackt wird...


https://imedikament.de/theracap131/fachinformation

Hier steht übrigens wenn man ganz nach unten scrollt Verschreibungspflichtig und nicht mehr Apothekenpflichtig.

DG0MG

Sehr interessant - wenngleich man natürlich hofft, sowas nie in "live" zu sehen.

Zitat von: Zugpferd am 20. November 2020, 22:33
Der Patient konnte dann den Deckel selber abschrauben, das Mundstück einschrauben und den Tablettenhalter somit entnehmen und auch sofort mit Zugabe von Wasser schlucken, so wurden Maßnahmen getroffen das das Personal möglichst wenig in Kontakt bzw. in größerer Distanz zu dem Medikament war.

Verstehe ich das richtig: Im Bleibehälter steht die Kapsel AUFRECHT drin? Und das Bleigefäß hat INNEN nochmal irgendein Gewinde? Dann wird das Plexiglasröhrchen eingeschraubt, dessen Deckel abgemacht und man führt dann die Öffnung, wo eben der Deckel war zum Mund? Und hebt den ganzen Bleibehälter wie eine Flasche mit langen, schlankem Hals hoch, damit die Kapsel in den Mund rutscht?

Oder rutscht die Kapsel durch das Einschrauben in das Plexiglasding und man schraubt das vor der Einnahme wieder ab und führt nur das Plexiglasding samt Kapsel zum Mund?
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

NoLi

Zitat von: Henri am 20. November 2020, 23:43
Auf dem Blecheimer-Aufkleber steht "Apothekenpflichtig".

Bekommt man die Dinger ohne Rezept???

Früher wie auch heute werden die Kapseln, wie auch alle radioaktiven Medikamente, nicht über Apotheken (auch nicht Zentralapotheken in Kliniken), sondern direkt an die Empfangsberechtigen der Nuklearmedizin ausgehändigt. Anderes ist sonst es ein Bußgeldbestand laut Strahlenschutzverordnung mit rechtlichen Konsequenzen für den Strahlenschutzverantwortlichen und den/die Strahlenschutzbeauftragten!

Es gab aber auch mal eine Zeit bis 1978, da konnte man bestimmte Salben mit Uran oder Radium auch über normale Apotheken beziehen (diese Salben wurden zur Wundheilung aufgetragen, um Narbenbildungen, Nekrosen, zu reduzieren). Ich habe selbst mal so zwei Fälle bei Besuchern erlebt: beide kamen nicht über den Hand-/Fuß-/Kleidermonitor (Kontaminationsalarm, da erhöhte Einstrahlung auf die Messsonden), weil Person A eine größere Schnittwunde am Unterarm und Person B eine Operationswunde auf der Brust hatte, und beide Personen ihre Wunden nicht vor Betreten des Kontrollbereiches angegeben hatten. Die Wunden befanden sich unter der Kleidung, waren eingesalbt, mit Wundauflagen und Pflaster abgedeckt und strahlten ganz ordentlich (Messwerte weiß ich leider nicht mehr). Gute alte Zeit!? :unknw:

Gruß
Norbert

NoLi

Zitat von: DG0MG am 21. November 2020, 08:30
Oder rutscht die Kapsel durch das Einschrauben in das Plexiglasding und man schraubt das vor der Einnahme wieder ab und führt nur das Plexiglasding samt Kapsel zum Mund?

Genau so. Und dann sofort ein großes Glas Wasser trinken, damit keine akuten Strahlenschäden an der Mundschleimhaut oder Speiseröhe entstehen (das Ding muß zwecks Auflösung und Verteilung in den Blutkreislauf schnellsten in den Magen!).

Gruß
Norbert

Zugpferd

Das Einschraubröhrchen - es hiess glaube ich Schluckrohr schraubt man automatisch mit der Kapselhalterung zusammen, in der Kapselhalterung ist die grüne Kapsel. Die echten waren gelb, der Dummy Grün.


Du kannst also auf meinem Bild sehen das das Schluckrohr konisch ist und ganz unten ist ein anders aussehender Teil in dem die grüne Kapsel steckt. Die kann man auch wieder ausserhalb des Bleitopfes abschrauben, hat man aber nie gemacht sondern beides gleich ab in den Eimer nach Schlucken der Kapsel. Da beides als kontaminiert galt.

Somit ist der Bleitopf frei von Kontamination, denn die Kapsel steckt in dieser Kapselhalterung. Einzig die Weckglasgummi mässige Dichtung auf dem Stöpsel den man aus dem Bleitopf entfernt war auch kontaminiert. Vielleicht ist da sogar noch Silica Gel oder so drin? Denn da ist ein Loch im Gummi. Hab ich mir aber noch nie angesehen , ist aber häufig bei Medikamenten damit die Kapsel keiner Feuchtigkeit ausgesetzt ist.
Ich weiss das wir die Deckel daher immer freigemessen haben bevor die zurück an den Hersteller oder sogar weggeschmissen wurden...


DG0MG

Asoooo! Das Plexiglasding besteht aus zwei Teilen, von dem das untere sich als Halterung der Kapsel schon im Bleitopf befindet. Das wird dann an das obere Plexiglasding (ich bleib mal bei dem Begriff) angekuppelt und alles zusammen rausgezogen. Jetzt hab ichs verstanden.

Aktivität auf dem ersten Aufkleber ist mit 1200 MBq angegeben, das wären laut Strahlungsrechner ~70 µSv/h in 1 m Entfernung,
auf dem zweiten 2780 MBq, das wären ~165 µSv/h @ 1 m.
So eine Kapsel zu schlucken, fällt jemand, der mit diesen Zahlen überhaupt nichts anfangen kann, sicher leicher, als vielleicht unsereins.
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Zugpferd

Mir kam vorher gar nicht in den Sinn nach Bildern davon im Netz zu suchen, hier sieht man zumindest exemplarisch wie ein Patient die Pille schluckt https://www.ukr.de/kliniken-institute/nuklearmedizin/Informationen_f__r_Patienten/Aufnahme/Radiojodtherapie/index.php

Hier sind alle drei Grössen zu sehen...

https://www.schilddruese-gera.de/therapien/radiojodtherapie

Und hier wer dem Schwitzer Dütsch folgen kann ein aufschlussreicher Film darüber.



Hier mal wieder ein Automess dabei... und ein FH40F4... und ein Berthold UMo LB123
sehr ausführlichere Bericht:

allerdings hier ohne das Schluckrohr... da sieht man sofort das man das umgehen kann...

beim einen 5µSv/h beim anderen 10µSv/h tzz... beides Schweiz, komisch

DG0MG

Der Herr Professor Blautzik erklärt aber schön :) Boah, habt Ihr im ersten Film die Bleiplatten in den Wänden bei 4:05 min gesehen?  :o

Im zweiten Film wird zwar alles recht ausführlich erklärt, aber wie lange der Patient in dieser Isolation verweilen muss? Okay, das sagt auch der erste Film: 4-5 Tage.

Interessant ist, dass bei 4:20 min ein FH40F4 in µSv/h anzeigt (wo er doch µR/h anzeigen sollte).

24 Stunden nach der Einnahme bis zu 200 µSv/h in 1 m Abstand und Entlassung bei unter 10µSv/h in 1 m Abstand.
Das erinnert wieder an den Strahlungsvorfall in dem Zug aus Moskau und die Tatsache, dass in manchen Ländern die Patienten nicht stationär verbleiben müssen, sondern sofort wieder heimgeschickt werden.

Hier hat sich einer in Moskau den "Sport" erlaubt, mit einem "ATOM FAST"-Dosimeter solche Personen aufzuspüren:







Ein anderer Youtuber hat das ebenfalls gemacht, dann aber den Patienten um ein Interview gebeten. Dieser erzählt, dass er Trockenheit im Mund verspürt, sonst aber nichts.

"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

NoLi

#11
Die Restaktivität am Entlassungstag eines Patienten aus einer solchen Therapiestation liegt bei 250 MBq J-131; diese liefert in 2m Abstand von der Person eine Dosisleistung von 3,5 µSv/h. Im Halsbereich sind dann noch etwa 3 mSv/h messbar, im Bauchbereich ca. 300 µSv/h.

Bis vor 15 - 20 Jahren lag die Entlassungsaktivität in der BRD bei 70 MBq, dies hatte aber einen 3 - 4 tägigen längeren Aufenthalt in der Klinik (je nach Applikation waren die Patienten 7 - 10 Tage auf Station) zur Folge; böse Zungen behaupten, die Verkürzung der Aufenthaltszeit mit Erhöhung der Entlassungsaktivität erfolgte zu Gunsten der Krankenkassenbilanzen und auf Wunsch einiger selbstständiger Patienten/Landwirte...:unknw:
Gerade letztere Personengruppe aus westlichen, grenznahen Bundesländern ließen sich in Holland, Belgien und Frankreich behandeln, weil damals dort gar keine Klinikaufenthalte vorgeschrieben waren, und kamen "mit voller Dröhnung" in die BRD zurück. Aufgefallen ist es den (Grenz)Behörden erst nach Installation von "Verschleppungsmonitoren", also Szintillationsdetektoren, an Grenzübergängen (zur Verhinderung von Atomschmuggel) und deren vermehrten Alarmauslösungen.

Wie die Regelungen heute in den genannten Ländern bei dortigen J-131-Therapien ist, weiß ich leider nicht :(


In diesem Schweizer Video "Strahlenschutz in der Nuklearmedizin" ist bei 08:20 Min auch eine interessante Applikationsmethode einer J-131 Therapiekapsel dargestellt; auch die bei 09:27 Min gezeigte Raumluftdekontamination ist bemerkenswert:




Hier ein Ablauf in der Nuklearmedizin "Strahlenschutz am Institut für Radiologie und Nuklearmedizin – Stadtspital Triemli":



Gruß
Norbert

Zugpferd

Wobei uns damals schon unser NukMed Prof sagte das der Arzt mit den Schluckröhrchen endlich nicht mehr die Kapsel auf einem Löffel balancieren muss. 
Wir haben damals geprobt was passiert wenn die Kapsel runterfällt. Pinzette das Stichwort und dekontamination des Bodens. Patient nach Hause schicken, neue Kapsel bestellen usw.
Auch mit der Folie wie im Beitrag gezeigt.

Henri

Zitat von: Zugpferd am 22. November 2020, 23:11
Wobei uns damals schon unser NukMed Prof sagte das der Arzt mit den Schluckröhrchen endlich nicht mehr die Kapsel auf einem Löffel balancieren muss. 
Wir haben damals geprobt was passiert wenn die Kapsel runterfällt. Pinzette das Stichwort und dekontamination des Bodens. Patient nach Hause schicken, neue Kapsel bestellen usw.
Auch mit der Folie wie im Beitrag gezeigt.

Statt des Löffels hätte man doch auch einen Plastikbecher nehmen können. Abstand ungefähr der gleiche, aber weniger "Havariegefahr"... und mit nem tollen Becherhalter aus 20mm Plexi an einem 2m Besenstiel dann sogar noch vertrauenerweckender für den Patienten :)

DL3HRT

In diesem Video wird die Radioiodtherapie anschaulich erklärt (ab Minute 18:30). Die Aktivitäten sind erst einmal erschreckend, aber es ist eine erprobte Therapie:
https://www.ardmediathek.de/video/doc-esser-der-gesundheitscheck/schilddruese-im-chaos-das-hilft-bei-einer-fehlfunktion/wdr/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTc5OWEzZjE5LWZiZmQtNDFlNy1iZWU4LTMwZDA3MGU0Njg3MQ

Laut Wikipedia erfolgt die Entlassung nach ca. 48 Stunden. Die Restaktivität des Patienten darf in 2 m Entfernung eine Dosisleistung von 3,5 µSv/h nicht überschreiten.