Berthold BF 2301 HV-Netzteil und LB 2008 Vorverstärker, um 1975

Begonnen von Radiator, 23. September 2021, 04:24

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Radiator

Ich habe zwei hübsche Schätzchen aus den Siebzigern ausgegraben.

Eine Berthold BF2301 Anticoincidence Unit und einen LB2008 Charge Sensitive Preamplifier.

Die Teile stammen aus einem größeren Einschubsystem, in dem noch ein Drucker, ein Zählwerk und eventuell noch weitere Signalverarbeitung enthalten war. Leider ist es mir nicht gelungen, das ganze System zu retten, aber ich hätte wohl auch aus Platzgründen darauf verzichten müssen.

Ich habe dazu keinerlei Dokumentation gefunden. Einige Treffer in wissenschaftlichen Werken deuten darauf hin, daß mit dem System ernsthafte Nuklearforschung bis hinunter zu einzelnen Zerfallsereignissen betrieben wurde. Die gezählten Impulse konnten dann angezeigt und ausgedruckt werden.

Die "Antizufallseinheit" ist zunächst mal ein präzise einstellbares Hochspannungsnetzteil von 400 bis 4200 Volt. Damit werden zwei Zählrohre bzw. Detektoren betrieben, die mit Sample und Guard bezeichnet sind. Die Sample-Sonde ist die, die das Echtereignis mißt. Und die Guard-Sonde ist dazu gedacht, soweit ich mir das zusammengereimt habe, bei Fehlimpulsen, die nicht vom Meßgegenstand kommen, entweder *auch* oder *nicht* auszulösen. Also z.B. in einer Sonde gibt es einen unerwünschten Alpha-Zerfall, in der anderen nicht. Oder ein Gamma-Photon brettert durch beide Sensoren gleichzeitig. Die Elektronik sorgt dann dafür, daß nur im gewünschten Fall ein gültiger Impuls ausgegeben wird. Es gibt einen englischen Wikipedia-Artikel über das Thema.

Das Gerät ist zum Glück weitgehend selbsterklärend. Vorne gibt es die Einstellung, ein pittoreskes Räderwerk mit aufs Volt genauer Anzeige, und eine Bereichsumschaltung für einfach und dreifach. Rückseitig jeweils doppelt der Hochspannungsausgang, eine DIN-Buchse für die Stromversorgung des dazugehörigen Verstärkers und eine BNC-Buchse für den Impulseingang. Und einen einzelnen Ausgang für die Antikoinzidenz. Da es ein Einschub ist, hat es auch den Stecker für das Grundgerät.

Die beiden Hochspannungsausgänge sind parallelgeschaltet. Die Auswertung auf Koinzidenz erfolgt also dadurch, daß die Digitalausgänge der Verstärker, siehe unten, wieder in das Netzteil zurückgespeist werden, wo auf einem Teil der Niederspannungsplatine die Logikauswertung erfolgt, einen Finger breit entfernt von 4000 Volt. Bißchen eine Bastellösung des Herstellers, wie ich finde. Bei meiner Nachforschung habe ich auch Antikoinzidenzeinheiten gesehen, die eigene Einschübe waren und einstellbare logische Verknüpfungen wie UND und NICHT boten.

Der LB2008 Verstärker, tatsächlich habe ich die nötigen zwei davon, wird am Ende der Hochspannungsleitung offensichtlich möglichst nahe am jeweiligen Zählrohr angeschlossen. Wie das Foto vom Innenleben zeigt, ist eine mächtige Menge Voodoo zur Signalauswertung enthalten. Hübsche klassische Analogtechnik auf verzinnter Massefläche. Das dreifache RC-Glied im Hochspannungsteil soll wohl verhindern, daß ein Impuls im einen Verstärker den über das Netzteil am selben Draht hängenden anderen Verstärker auslöst.

Es gibt diverse Einstellmöglichkeiten und man kann Testimpulse einspeisen. Am Ausgang gibt es den Impuls im analogen Original und in diskriminiert (die Bauzeit des Geräts war also ganz offensichtlich vor der Einsetzung von Antidiskriminierungsbeauftragten. :))) Der digitale Impuls wird zur Auswertung wieder in den Antikoinzidenzteil des Netzteils eingespeist.

Wie man sieht, sind die Teile in hervorragendem Zustand, mit einem Hauch von im Lauf von 46 Jahren angelocktem Staubfilm. Und eine Verarbeitung und Wartungsfreundlichkeit (die beiden Seitenbleche des Netzteils können werkzeuglos herausgezogen werden, der Verstärkerdeckel hat nur ein paar Schrauben), die man bei heutigen Snap-in, Break-Out-Gehäusen vergeblich sucht.

Freundlicherweise sind auf der Frontblende des Netzteils die drei nötigen Versorgungspannungen und sogar der jeweilige Strombedarf angegeben. Ich mußte sie daher nur noch anhand der Polung und Spannungsfestigkeit der Kondensatoren zuordnen. Die farbigen Kabel habe ich mit Kabelschuhen auf den Systemstecker aufgeschoben. Nun muß ich nur noch mein Labornetzteil reparieren und mit einem weiteren kombinieren, dann kann ich das Netzteil mal ausprobieren.

Ich denke, die Teile eignen sich leicht abseits ihrer ursprünglichen Verwendung vor allem dafür, unterschiedliche Zählrohre und Sonden mit der genau passenden Spannung zu versorgen und anders als bei einem reinen Hochspannungsnetzteil auch noch gleich die nötige Strombegrenzung und Impulsformung zu erhalten. Vermutlich bekommt man mit einem Lautsprecher direkt am geformten Ausgang schon hörbares Knacksen wie bei einem Geigerzähler.

Spannend finde ich die Frage, ob man am analogen Ausgang etwas Sinnvolles sieht, Rückschlüsse auf die Teilchenart oder -energie, oder ob es dazu spezieller Sonden bedarf.

Henri

Ach, das ist ja toll :yahoo:

NIM Einschübe waren vom Prinzip her schon als "Bastellösung" komzipiert: genormtes Einschubformat, genormter Steckverbinder und Stromversorgung, und ansonsten so flexibel wir möglich. In der Forschung hat man sich durchaus schon mal seinen eigenen Einschub zusammengelötet, und dann ab damit ins Rack... und wieder rausgerupft und was umgelötet und dann wieder ab in den Betrieb... und natürlich gab es auch alles, was das Herz begehrte, fertig vom Hersteller zu kaufen. NIM heißt "Nuclear Instrumentation Module" !

Antikoinzidenz wird grundsätzlich bei Low-Level Messplätzen verwendet, also dort, wo man so empfindlich messen muss, dass eine Abschirmung alleine gar nicht mehr ausreichen würde. Altersbestimmung über die C-14 Methode ist so ein Kandidat, z.B.

Mittlerweile kann man so was natürlich sehr einfach über einen billigen Microcontroller aufbauen, aber es ist trotzdem schön, sich mit der alten analogen Technik zu beschäftigen (schon allein wegen der vielen Knöpfe, Einstellrädchen und Anzeigegeräte).

Also, wenn alles noch funktioniert, kannst Du damit viel Spaß haben. Eine handvoll SBM-20 Zählrohre als Schirmung, ein schönes Endfensterzählrohr innen drin als Detektor, und ganz viel Geduld bei den langen Zählzeiten, und dann kannst Du "das Gras wachsen hören" (Eigeneffekt des Aufbaus nicht vergessen!)

Viele Grüße!

Henri