Pottasche: Katastrophenschutz-Kalibrierung

Begonnen von NoLi, 26. November 2019, 23:17

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NoLi

Moin Bernd.

Zitat von: opengeiger.de am Gestern um 09:37...
400 Bq/cm² deswegen, weil das im Katastrophenfall laut Innenministerkonferenz von 2014 einen Kontaminationsgrenzwert für Personen darstellt, ab dem man eine Notfallbehandlung anwenden müsste (ich hoffe ich habe das so richtig wiedergegeben).
...
Das war zu Beginn dieses Thread noch der Fall, doch mittlerweile hat man mit der seit August 2023 gültigen Allgemeine Verwaltungsvorschrift für einen Allgemeinen Notfallplan des Bundes nach § 98 des Strahlenschutzgesetzes (ANoPl-Bund) diesen Wert auf 100 Bq/cm² für Personen und Sachgüter herabgesetzt. Dies wurde bei den in den letzten Wochen dargestellten Geräten mit Messung an der Pottasche und Hochrechnung des Ergebnisses bereits berücksichtigt.


Zu den Kontaminationsmessgeräten, auch denen mit Pancake-Detektor.
- Die Gamma-Empfindlichkeit (Efficiency) eines Pancake-GM-Detektors mit Mica-Fenster ist für Photonenenergien > 150 keV recht bescheiden und liegt bei ca 0,1 %, während die Beta-Empfindlichkeit um die 20 % beträgt. Unterhalb 150 keV Photonen steigt die Gamma-Empfindlichkeit schrittweise bis auf 0,5 % bis 0,7 % an, mehr ist aber nicht drin.

- Die Gamma-Empfindlichkeit eines Kontaminationsmessgerätes mit gasgefülltem Großflächendetektor ist sehr vom Zählgas abhängig und liegt zwischen 0,1 % (Propan-Butan) bis zu 1 % (Xenon). Für Photonenenergien < 150 keV kann die Empfindlichkeit bis zu etwa 5 % steigen (Xenon), z.B. bei gekapseltem Am-241 (59,5 keV). Bei den Szintillationsdetektoren des LB-124 Scint und CoMo-170 sieht dies besser aus; hier beträgt die Gamma-Empfindlichkeit für Photonen 700 keV (Mn-54) ca. 0,5 % (LB-124) und 1,2 % (CoMo-170). Der CoMo-170 ist hier besser, weil er für die Beta-/Gamma-Messung einen 2 mm dicken Plastikszintillator besitzt. Bei der Beta-Empfindlichkeit ist im Bereich > 150 keV kein signifikanter Unterschied zwischen den Geräten vorhanden, er liegt je nach Energie zwischen 25 % bis 45 %. Für Beta-Energien < 150 keV ist gemäß DIN 7503 ein Multiplikationsfaktor 2 zu berücksichtigen.

Dies zeigt, dass bei einem Spaltproduktgemisch mit gemischten Beta-/Gamma-Strahlern, wie bei einem radiologischen Notfall, der Einfluß der Gamma-Strahlung auf das Messergebnis vernachlässigt werden kann, zumal andere Einflüsse wie z.B. statistische Schwankungen und Messgeometrien einen größeren Einfluß auf das Ergebnis haben als der Gamma-Einfluß.
Somit kann man auch bei der Messung bzw. Kalibrierung mit der Pottasche, zumindest bei den kleinen Mengen, den Einfluß des 10,5 %-igen Gammaanteils der Gesamtzerfälle vernachlässigen.

Norbert

NoLi

Moin Peter.

Der Beta-Anteil liegt bei 89,5 %, somit beträgt die Beta-"Aktivität" der Pottasche pro Gramm 15,99 s^-1.
Der Gamma-Anteil liegt bei 10,5 %, somit beträgt die Gamma-"Aktivität" der Pottasche pro Gramm 1,88 s^-1.

Für das 30g-Tütchen von Müllers wären dies Beta 480 s^-1, Gamma 56,3 s^-1 .

Norbert

Peter-1

Danke Norbbert,

dann liege ich mit meiner Messung ( nur Gamma ) mit dem 2" NaI-Kristall mit
51,5 - 56,9 Bq garnicht so falsch.

Guten Rutsch
Peter
Gruß  Peter

opengeiger.de

@NoLi : Tausend Dank für die umfangreiche und kompetente Antwort! :good: Es ist schon beeindruckend welches Detailwissen Du zu den vielen unterschiedlichen Messgeräten hast! Wenn ich Deinen Post richtig verstehe, sagst Du, dass für die Pancake-Zählrohr basierten Geräte das Verhältnis der Zähleffizienz Gamma/Beta für die Energien > 150keV sehr klein (etwa 0,1/20) und für die Szintillator-basierten Geräte klein (etwa 0.5 ... 1,2 / 25 ... 45) ist.   

Diese Zahlen von den Herstellern zu bekommen ist sehr schwer (zumindest, wenn man nichts kauft) und im Internet habe ich bisher dazu ebenfalls nur sehr wenig Angaben gefunden. Das Einzige was dann bleibt sind Experimente, die natürlich im Hobbybereich durch die Reglementierungen ebenfalls stark eingeschränkt sind.

Aber es wäre spannend, die Werte, die Du vermutlich auf Grund Deiner beruflichen Tätigkeit irgendwann von den Herstellern bekommen hast, auch mal wirklich in der Praxis nachzuprüfen. Von der Physik her nämlich sind meine Zweifel immer noch nicht ganz ausgeräumt. Aber in der Community gibt es ja vielleicht Leute, die einen Kontaminationsmonitor mit Szintillatorfolie besitzen und Leute mit Pancake Zählern wie Inspector / Ranger/ GQ GMC-600+ gibt es ja ganz sicher einige.

Wie müsste man denn ein Experiment gestalten um hier ein Gefühl zu bekommen in welchem Verhältnis die Gamma-/Beta Effizienz bei zulässigen Quellen liegt? Könnte man z.B. die Beta-Strahlung mit Alublech abschirmen und den Rückgang der Zählrate für verschiedene Quellen mit unterschiedlichem Beta- /Gamma-Intensitäten anschauen? Wie müsste man dann die Abschätzung des Gamma-/Beta-Effizienzverhältnisses z.B. für Pottasche, Lu2O3 oder für eine alte alte Sparkgap-Röhre rechnen? Kannst Du uns da Tipps geben? Wer hat denn so ein Gerät und könnte einen solchen Vergleich machen?  :)

NoLi

@opengeiger.de : Das Verhältnis der Zähleffizienzen von Gamma zu Beta ist nicht sehr klein, sondern umgekehrt recht groß.

- GM-Pancake: Gamma 0,1 % zu Beta 20 % = Faktor 200
- Szint.Detektor: Gamma 0,5 % zu im Schnitt Beta 35 % = Faktor 70....Gamma 1,2 % zu im Schnitt Beta 35 % = Faktor 29

Diese Zahlen stammen auch nicht von den Herstellern, sondern sind größtenteils in unseren Praktika bestimmt (Praktikum Wirkungsgradbestimmung von Kontaminationsmonitoren); der Gamma-Wirkungsgrad wird mit dem Elektroneneinfangstrahler und Gammaemittenten Mangan-54 (700 keV) ermittelt.

Zur Ermittlung der Wirkungsgrade bzw. Efficiency braucht man Standard-Präparate (Alpha, Beta, Gamma) mit DAKKS-Zertifizierung (oder früher PTB / DKD-Zertifizierung), weil deren Aktivitätsangaben mit einer Genauigkeit von 3 % angegeben sind.
Wenn man solch einen Beta/Gamma-Strahler zur Verfügung hat, z.B. Cs-137, kann man mit der Differenzierungsmethode ohne-Alu und mit-Alu die jeweiligen Zählraten ermitteln und daraus die Effizienzen, sprich Wirkungsgrade, für die jeweilige Strahlenart ermitteln. Dazu ist aber ein Cs-137-Strahler mit ein paar 10 kBq erforderlich, gerade für die Gamma-Messung (unsere Mn-54 Gamma-Präparate weisen dafür Aktivitäten zwischen 10 kBq bis 30 kBq pro Stück auf). Die amerikanischen Plastikscheibchen-Cs-Präparate sind dafür nicht geeignet, weil ein nicht bekannter Teil der Beta-Teilchen im Plastikmaterial absorbiert wird. Wir verwenden Eloxal-Präparate bzw. bei Gamma mit Klebefolie abgedeckte Präparate (unsere Radiochemie frischt diese regelmäßig auf, weil die Halbwertszeit von Mn-54 nur 312 Tage ist. Nach der Auffrischung werden diese Aktivitäten via Gamma-Spektrometrie mit dem Reinstgermanium ermittelt).
Die benutzten Präparate sind Schälchen mit 1mm Randhöhe und einem Durchmesser von 60 mm.

Pottasche, Lutetiumoxid sind dafür nicht geeignet, weil die Aktivität zu gering ist.
Eine alte Sparkgab-Röhre kommt wegen der unsicheren tatsächlichen Aktivität trotz der Angabe auf der Kennzeichnung sowie der Geometrie auch nicht in Betracht.

Norbert

opengeiger.de

Zitat von: NoLi am Gestern um 22:41@opengeiger.de : Das Verhältnis der Zähleffizienzen von Gamma zu Beta ist nicht sehr klein, sondern umgekehrt recht groß.

- GM-Pancake: Gamma 0,1 % zu Beta 20 % = Faktor 200


Beim Verhältnis Gamma zu Beta rechnet man da nicht einfach 0,1 / 20 = 0,005 ?

Ich hatte aber bevor ich @NoLi's Post von gestern spät abend gelesen hatte, mir folgendes Experiment überlegt:
Ich messe bei zwei Proben einmal den Hintergrund, dann Beta+Gamma+Hintergrund und dann nur Gamma+Hintergrund indem ich Beta mit 3mm dickem Alu abschirme. Das Messgerät müsste Beta mit seiner Beta-Zähleffizienz sehen und Gamma mit seiner Gammazähleffizienz. Dann musss ich noch sicherstellen, dass sich der Hintergrund durch das 3mm Alublech nicht ändert (das tut es auch nicht). Damit müsste ich die unterschiedlichen Zähleffizienzen doch grob abschätzen können, wenn ich die Beta und Gamma-Wahrscheinlichkeiten richtig berücksichtige? Das habe ich dann mit Müller's Pottasche-Tütchen und meiner alten SparkGap Röhre mit Cs-Klecks im Glas wie beschrieben gemacht. Ich habe dazu die Observer Software von meinem Inspector mit Pancake Zählrohr gestartet und zuerst den Background aufgezeichnet, dann die Probe ohne Beta-Abschirmung und dann die Probe mit Beta-Abschirmung. Ich hänge die Grafiken der Aufzeichnung an.

Nun ist die große Frage, wie muss man das Ergebnis interpretieren? Was kann man daraus für die Zähleffizienzen des Inspector-Pancake für Pottasche und dem Cs137 (als Simulation für den Katastrophen-Fall) sagen? Und wie würde man das einem Lehrgangs-Teilnehmer am besten erklären? Und ... wie würde das mit einem Szintillations-Kontaminationsmonitor (z.B. LB124 oder CoMo) aussehen?

NoLi

Zitat von: opengeiger.de am Heute um 09:26...
Beim Verhältnis Gamma zu Beta rechnet man da nicht einfach 0,1 / 20 = 0,005 ?
...
Doch, so kann man es natürlich auch sehen. Du hast einen Divisionsfaktor, ich einen Multiplikationsfaktor. :)

Messungen des Backgrounds mit und ohne dem 3mm-Alublech wird kaum eine Veränderung bringen, weil der Untergrund nur durch Gamma-Strahlung verursacht wird.

Die Messung mit dem S.E.INSPECTOR und dem Cs-137 in der SparkGap wird zu keinem guten Ergebnis führen, weil
a) die Aktivität der Röhre nicht genau bekannt ist (man hatte zwar eine gewisse Menge an µCi angegeben, in der Realität wurde aber in dem Glaskolben mit unbekannten Toleranzmengen aufgetropft und die Röhre danach zugeschweißt. Cäsium ist aber bei niedrigen Temperaturen schon recht flüchtig.
b) ein unbekannter Teil der Beta-Strahlung des Cs-137 von der Glaswandung absorbiert wird.
c) und damit durch den Glaskolben das reale Beta- zu Gammaverhältnis stark gestört ist.
d) die Beta-max. Energie von Cs-137 liegt bei 0,5 Mev und ist relativ niedrig, somit der Absorptionsfaktor im Glas relativ hoch.
Daher ist die SparkGap-Röhre für eine Effizienzkalibrierung ungeeignet. Ferner muß berücksichtigt werden, das Cs-137 (bzw. die Tochter Ba-137m) eine Gamma-Zerfallswahrscheinlichkeit von 85% hat. Das 3mm-Alublech schwächt die Gamma-Strahlung von Cs-137/Ba-137m auch noch um ca. 7%.

Das gilt nicht nur für den INSPECTOR, sondern auch für Messungen mit großflächigen Kontaminationsmessgeräten, obwohl hier die Zählraten besser aussehen. Dabei kommt es vor allem auf das Zählgas und den Szintillator an.


In der Messanleitung "Verfahren zur Bestimmung der Gesamt-Beta-Aktivität im Niederschlag" des Bundesumweltministeriums wird zur Kalibrierung der Messtechnik unter Punkt 4.2 die Verwendung von Kalium-40 empfohlen, "da seine mittlere Beta-Energie etwa der mittleren Beta-Energie eines Spaltproduktgemisches entspricht". https://www.bundesumweltministerium.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Strahlenschutz/leitstelle_a-beta-gesamt-niede-01.pdf

Glücklicherweise besitzt ein Spaltproduktgemisch auch einen entsprechenden Gamma-Anteil, so dass unter Umständen auch eine Gamma-Dosisleistungsmessung zur Bestimmung der Höhe einer Kontamination herangezogen werden kann. In der DIN 25700 vom März 2023 "Oberflächenkontaminationsmessungen an Fahrzeugen und deren Ladungen in strahlenschutzrelevanten Ausnahmesituationen" (basierend auf Vorgaben der Strahlenschutzkommission) finden sich dazu wertvolle Hinweise, u.a in Diagrammen für Falloutgemische und für nur Cs-137, für die Gamma-Dosisleistung und für Gamma-Zählraten mit dem Kontaminationsmessgerät (CoMo-170), jeweils für Kont.Größen von 1 m² und 10 m² und für Messabstände von 0,1 m und 1 m.
So verursacht beispielsweise eine Kontamination von 100 Bq/cm² und einer Größe von 1 m² (auch der Mensch hat einseitig ca. 1 m²)  in 10 cm Abstand eine Gamma-Dosisleistung von ca. 1,5 µSv/h, in 1 m Abstand von ca. 0,1 µSv/h. Der Einfluss des Gamma-Anteils auf die Anzeige eines Kontaminationsmessgerätes beträgt bei 100 Bq/cm² in 10 cm Abstand ca. 180 IPS und in 1m Abstand ca. 300 IPS (zum Vergleich: die Beta-Zählraten liegen in ca. 2 cm Abstand bei 100 Bq/cm² für den CoMo-170 bei ca. 7100 IPS, beim LB-124 Scint bei ca. 5900 IPS; siehe Tabelle A-7.1  https://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_26022016_RSII2170272.htm).


Als Fazit kann man einem Lehrgangsteilnehmer mitteilen, dass im Katastrophenfall bzw. radiologischem Notfall bei niedrigen Aktivitäten eine Kontaminationsmessung nur über den Beta-Anteil der Kontamination sinnvoll ist, bei Richtwerten, ab denen eine Dekontamination angebracht ist, im Nahbereich unter Umständen auch eine Gamma-Dosisleistungsmessung in Betracht kommen kann.
Um in solchem Fall die Grenz-/Richtwerte von Consumergeräten mit den dazugehörigen Anzeigewerten erkennen zu können, bietet sich eine Kalibrierung mit dem Beta-Anteil des Kaliumcarbonat (Pottasche) an, weil diese als Backgewürz überall verfügbar ist. Je nach Ergebnis dieser Überprüfung und Empfindlichkeit des Consumergerätes ist auch eine Ermittlung der Größenordnung der Kontamination unterhalb der Grenz-/Richtwerte möglich.

Norbert

opengeiger.de

Nochmal vielen Dank für die ausführliche Erklärung! Wenn die Fachwelt diese Vorgehensweise empfiehlt, dann denke ich sollten wir dem auch folgen. Es ist auch völlig klar, dass wir diese Genauigkeit mit Hobbymitteln nicht hinbekommen. Mir ging es aber gar nicht so sehr um eine hohe Genauigkeit im Detail. Mich hat nur gestört, dass ich beim Kalibrieren mit der Pottasche davon ausgehe, dass der Gammabeitrag zur Zählrate vernachlässigt wird, beim Experiment mit Cäsium aber schon sehr deutlich wird, dass die Gammastrahlung auch erheblich zur Zählrate beiträgt und ich sie zumindest beim Pancake-Zählrohr nicht einfach vernachlässigen kann.

In diesem Sinne nen guten Rutsch :good2:

NoLi

Zitat von: opengeiger.de am Heute um 13:59...
guten Rutsch :good2:
Auch Dir einen guten Rutsch!
Und schau noch mal in meinen Beitrag rein, ich habe da ein paar Ergänzungen und (Quellen)Links nachgetragen.

Gruß
Norbert